Suter, Karl Friedrich

Karl Friedrich Suter an Ernst Haeckel, Muri (Kanton Aargau, Schweiz), 10. Oktober 1901

Muri, Kanton Aargau

10. Oktober 1901

Verehrter Herr!

Erlauben Sie mir eine Frage, die ich Ihnen als einer Autorität stelle.

Giebt es eine monistische Ethik, die sich absolut vom Monismus, vom Pantheismus nicht loslösen lässt.

Ich mag suchen so lang ich will, ich kann einen wirklichen Zusammenhang nicht finden.

Glauben Sie, dass das Ziel, das sich die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur vorgesteckt hat, zu erreichen ist?

Ich muss Ihnen gestehen, dass ich a fast einverstanden bin mit den Ideen dieses Vereins, der Ethik unabhängig von jeder Weltanschauung predigt.

Ich unterscheide in der Ethik zwei verschiedene Arten:

1. Egoistische Ethik, die einen Lohn für das Gute erwartet. Die christliche Ethik ist entschieden der Art! ||

2. Altruistische Ethik, die das Gute um seiner selbst Willen tut. Ich schätze letztere viel höher als erstere. Die Ethik Spinoza’s ist altruistisch, denn er b lehrt die Tugend zu üben um ihrer selbst Willen. Er sagt in einem Lehrsatz am Schlusse seiner Ethik: Nicht die Glückseligkeit ist der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst.

Meiner Weltanschauung nach bin ich Pantheist. Ich grüble nach einer Ethik, die mit dem Monismus zusammenhängt. Aber ich kann keine Brücke zwischen Monismus und Ethik finden.

Giebt’s überhaupt eine solche?

Ich bin durch Nachdenken zu dem Satze gelangt, der mein Handeln bestimmen soll: Der höchste Altruismus bringt die höchste Glückseligkeit, der Egoismus derenc Gegenteil mit sich.

Wie weit ist mein Satz richtig?

Ich glaube fest daran. Deshalb zieht mich Spinoza so an, wegen des wunderbaren, tiefsinnigen Satzes:

Wer Gott liebt, kann nicht verlangen dass Gott ihn wieder liebt.

Aber giebt es da eine Brücke zwischen dieser Lehre und dem Pantheismus.

Selbst bei Spinoza ist der Punkt der Metaphysik und Ethik verbindet || nicht fest. Mit ziemlicher Leichtigkeit lässt sich die Conjugation lösen.

Ich zweifle, ob es feste Punkte giebt, und erwarte mit Sehnsucht Ihre Antwort.

Die egoistische Ethik ist nicht die richtige, denn sie kann nicht vollkommen glücklich machen. Solange der Mensch nicht von allen Wünschen frei ist, kann er nicht glücklich sein.

Die altruistische Ethik kann aus bloßer Liebe zur Tugend geübt werden und gebraucht nicht’s weniger als eine metaphysische Unterlage.

Wie soll man den Weg finden? Dürfte ich Sie bitten mir Ihre Ansichten über die Punkte mitzuteilen und mir Ihrd Urteil über die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur auszusprechen.

Schon lange hätte es mich interessiert, zu erfahren, ob auch eine Fachzeitschrift für monistische Ethik und für monistische Philosophie existiert.

Leider war es mir noch nie vergönnt, die Schriften Herbert Spencer’s zu lesen, e noch etwa, da er leider verstorben ist, ihn persönlich anzufragen.

Ich wende mich nun an Sie und bitte Sie um f Auskunft.

Sie erweisen mir durch Beantwortung meiner Frage einen grossen || Dienst und ich bin Ihnen innig dankbar dafür.

Seien Sie herzlich gegrüsst

von Ihrem sehr ergebenen

Karl Friedrich Suter

Adresse: Karl Friedrich Suter.

Muri, Kanton Aargau

Schweiz.

a gestr.: so; b gestr.: tut; c gestr. das, eingef. deren; d korr. aus: Ihre; e gestr.: wed; f gestr.: gef

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.10.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10831
ID
10831