Holgers, Maria

Maria Holgers an Eduard Rosenthal, Jena, 29. Juni 1909

Abschrift

M. H. an Herrn Prof. | Rosenthal Kahlastr. 6

Jena, 29. Juni 09 Kahla Str. 122

Hochgeehrter Herr Professor!

Herr Geheimrat Haeckel hat mich gebeten, ihm die Briefe und sonstigen Aktenstücke abzuschreiben, die seine Differenzen mit Prof. Plate betreffen. Bei dieser Arbeit stieß ich gestern, als ich das Plate’sche Gutachten abschrieb, auf einen Punkt, der mir nicht verständlich ist. Ich bitte um die Erlaubnis, Ihnen darüber berichten zu dürfen.

In allen seinen Entgegnungen beruft Prof. Plate sich darauf, daß Geh. [Rat] Haeckel ihm (namentlich in Briefen) die alleinige Führung und Verwaltung des Phyletischen Museums übertragen habe. Er beruft sich darauf ohne jeden Zusatz. Geh. [Rat] Haeckel bestreitet Prof. Plate’s Behauptung in seinen Entgegnungen keineswegs, fügt aber stets hinzu: daß er ursprünglich die Absicht gehabt habe, mit Prof. Plate zusammen || die Einrichtung des Museums vorzunehmen. Bis gestern, ehe ich das Gutachten Prof. Plate’s kannte, glaubte ich, zumal Prof. Plate nie von einer gemeinsamen Arbeit der Einrichtung spricht, daß Geh. [Rat] Haeckel sich das Zusammenarbeiten bei der Einrichtung nicht genügend gesichert habe und Prof. Plate darum der Meinung sein könne, Exc. Haeckel habe, dem strengen Wortlaut nach im Phylet. Museum nichts mehr zu sagen. Wie erstaunte ich, als ich gestern beim Abschreiben des Plate’schen Gutachtens auf folgende „offiziell für die Akten bestimmte“ Erklärung Prof. Plate’s stieß (S. 2 der Abschrift): „Es wird mir eine große Freude sein, als Direktor des Phylet. Museums Ihnen die gewünschten drei Räume im Obergeschoß (…) einzuräumen und das Museum mit Ihnen und nach Ihren Intentionen einrichten zu können. ||

Also hat Prof. Haeckel auch dem Wortlaut nach vollkommen Recht und alles Bedauerliche, das von Seiten Prof. Plate’s geschah, steht im Widerspruch mit seinem eigenen Versprechen. Erst auf diese hin telegraphierte ihm Exc. Haeckel „alle Bedingungen angenommen“. Daß letztere in seinem Brief vom 20/III sagt: „Ich wiederhole Ihnen … daß ich meine eigenen Pläne stets Ihren bessern unterordnen werde“ – diese übergroße Bescheidenheit reißt doch das obige Versprechen Plate’s nicht um! Es ist unbegreiflich, daß er niemals von diesem Versprechen spricht; im Gegenteil! Er behauptet (S. 3 der Abschrift): § 1 der Haeckelschen Vorschläge (in den Bestimmungen), worin ihm der Geheimrat auch die Einrichtung vollkommen überläßt, sei überflüssig. Sie ist es nicht; denn || sie bezeichnet einen neuen Stand der Dinge, da vorher die Einrichtung gemeinsam gemacht werden sollte. Warum will Prof. Plate das nicht anerkennen? Warum betont er immer wieder etwas, was ihm niemand, auch Geh. [Rat] Haeckel nicht, je bestreitet, noch bestritten hat: daß er Direktor des Phyl. Museums ist? Will er damit sagen, daß er darum, weil er Direktor ist, sich zu seinem obigen Versprechen der gemeinsamen Einrichtung nicht mehr verpflichtet fühlt? Wozu das hartnäckige Verschweigen dieses Versprechens, das unaufhörliche Betonen: ich bin der Direktor? –

Ich weiß, hochverehrter Herr Professor, daß nach allem was geschehen ist, keine Rede mehr davon sein kann, daß Prof. Haeckel und Prof. Plate zusammenarbeiten. Nachdem ich 2 Sommersemester || die Freude hatte, Geh. [Rat] Haeckel bei einigen seiner Arbeiten zu helfen, weiß ich auch, daß eine Museumseinrichtung keine Aufgabe für ihn ist. Trotzdem ist die Entwicklung der Dinge tief bedauerlich; sie raubt dem Geheimrat sein natürliches Recht; sie geht wider den natürlichen Verstand, der auch ohne das Versprechen Plate’s verlangt, daß Geh. [Rat] Haeckel in dem von ihm gegründeten Museum, das ihm alles verdankt: das Haus, den wertvollen Inhalt, die Wissenschaft und den Namen, nicht mundtot gemacht wird, auch dann nicht, wenn er auf jede praktische Mitarbeit verzichtet. Ob ein wirklicher dauernder Ausgleich der schwierigen Differenzen stattfinden kann? Ich glaube es kaum. Die Wesensverschiedenheit der beiden Herren ist so ||, daß selbst bei gutem gegenseitigen Willen eine wirklich befriedigende Lösung kaum erzielt werden kann. Zu meinem Bedauern habe ich in Berlin, wo ich lebe, und auch hier wahrgenommen, daß man einen fachlichen Conflikt zwischen Geh. [Rat] Haeckel und Prof. Plate vermutet. – Was hier geschehen ist in Briefen und persönlichen Unterredungen wird kaum jemand für möglich halten.

Entschuldigen Sie, daß ich mich nicht kürzer fassen konnte und haben Sie die Güte, die blgd. Anlagen, „das Gutachten Prof. Plate’s und die Bestimmungen Geh. [Rat] Haeckels dem letzteren zuzustellen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Maria Holgers

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.06.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10717
ID
10717