Sachsen-Meiningen, Georg II., Herzog von

Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen an Ernst Haeckel, Altenstein, 1. / 9. Dezember 1899

Altenstein | 1.12.99.

Lieber Häckel!

Sie haben mich durch Ihren Brief vom gestrigen Tage beschämt, indem ich noch Ihnen gegenüber mich in Briefschuld befinde; denn auf Ihren so interessanten Brief aus Corsica hatten sie noch keine Antwort von mir. Ja, nach Corsica wären wir auch einmal gerne gereist und hatten wir schon dazu angesetzt, als eine längere Krankheit, die mich in Cannes packte, uns einen Strich durch die Rechnung machte. || Solch einsame Ausflüge, wie Sie dort unternommen haben, hätten wir freilich nicht gewagt und in Folge dessen wohl auch weniger Hochgenuß von den dortigen Gegenden gehabt wie Sie. Daß Sie zu Ende Ihrer Herbstreise einen Unfall haben mußten, haben wir sehr bedauert. Dazu, daß er in 8 Tagen gehoben war, kann man Ihnen sehr gratulieren; es konnte auch anders kommen!

Unser Aufenthalt im Seebade Llandudno wurde durch das a sehr schlechte Befinden meiner Frau│ gründlich verdorben. Davon abgesehen herrschte auch während der ganzen Zeit dort eine abscheuliche Dürre und unerträgliche Hitze, sodaß auch Gesunde litten. Mein Hustenrest sollte am Meeresstrande vergehen, ließ dies aber bleiben, so daß ich noch damit behaftet bin. Während meine Frau noch leidend ist, gehtʼs mir aber gut.

Hier mußte ich am 1sten d. M. abbrechen, da ich ein umfangreiches Arbeitspensum aufgehalst bekam, das wegen des tagenden Landtagʼs ohne Zeitverlust erledigt werden mußte und erst jetzt beendet wurde. Die Welt-||räthsel, welche sie so freundlich waren, mir zu schenken und wofür ich Ihnen herzlich danke, habe ich mit außerordentlichem Interesse gelesen, ebenso die Uebersetzung des Saladinʼschen Buch‘s. Was das Letztere betrifft, bedauere ich, daß sein Stil meiner Meinung nach zu pamphlet-artig ist. Ich glaube, Saladin hätte mehr gewirkt, wenn er weniger gehässig und cynisch vorgegangen wäre, weil man dadurch den Eindruck bekommt, er übertreibe und könne durch seinen Haß veranlaßt, Manches anders sehen, als es in Wirklichkeit ist. Wenn Alles, || was er vorbringt, wissenschaftlich erwiesen ist, ist sein Buch freilich höchst interessant. Derjenige, der dasselbe ins Deutsche übersetzt hat, hätte besser gethan, von seinem Gift nicht auch beizumischen – so wirkt die Uebersetzung von Spirit in Geischt unangenehm. Die Verspottung eines Glaubenssatzes, den die Mehrzahl der Christen hoch hältb, ist nicht wohl gethan und dabei unklug: Will man gewinnen, darf man nicht verletzen.

Was die in den Welträthseln enthaltene Lehre betrifft, welche Sie mit erstaunlichem Wissen und Scharfsinn auch für den Laien möglichst || klar dargelegt haben, so bekenne ich, daß mir Ihre Definition des Monismus noch viel Kopfzerbrechen macht. Wenn ich auch von dem außerweltlichen Gott zu abstrahiren im Stande bin, so fehlt mir doch das Vorstellungsvermögen für den monistischen Begriff der Gottheit. Eher würde ich mir noch vorstellen können, daß das, was die monistischen Lehre mit Gott bezeichnet, eine der Materie von selbst innewohnende Kraft oder Energie sei, welche dann zur Aeußerung kommt, wenn die Bedingungen dazu gegeben sind.

Noch ein anderer Punkt ist es, || der meinem Vorstellungsvermögen besondere Schwierigkeiten macht, d. i. die Urzeugung. Sie verweisen in Ihrem Buche auf Ihre natürliche Schöpfungsgeschichte und Ihre generelle Morphologie, worin dies sehr schwierige Problem streng wissenschaftlich erörtert sei. Bis jetzt habe ich mir allerdings darin noch keine Belehrung geholt und werde vielleicht mich selbst auslachen, wenn ichʼs gethan haben werde: Jetzt noch erscheint mir das Auftreten des organischen Lebenʼs als ein unvermittelter Sprung, der in der Naturentwickelung der Erde stattgefunden haben soll. Da nun Unvermitteltes in der Natur nicht vor-||kommt, könnte ich eher mit Schroen auf den Gedanken kommen, daß das Leben nicht erst von dem Augenblicke an begonnen habe, wo Pflanzen- und Thierwelt ihren Anfang genommen, sondern daß irgend wie, wie wir noch nicht wissen, auch die anorganische Welt einen Lebensprozeß durchgemacht habe resp. durchmache, daß also Leben von Ewigkeit her bestanden habe.

Zu der 2ten Auflage Ihres Werks und zu dessen Uebersetzungen gratuliere ich herzlich.

Aus Altenburg habe ich inzwischen gehört, von meiner Schwester, wie sie und ihr Mann, der Ehrendoctor, sich ob || Ihres Hinkommenʼs gefreut haben. Daß meine Schwester Ihnen einen Gruß an mich auftrug, bedaure ich einestheils, weil sie in Folge dessen die Mühe hatten, mir zu schreiben, anderntheils freut es mich aber, daß ich dadurch wieder zu einem Briefe von Ihnen gekommen bin.

Nicht Sie allein denken an Ihren hiesigen Aufenthalt freundlich zurück, auch wir freuen uns in Rückerinnerung jener Tage und würden Ihnen dankbar sein, könnten Sie sich entschließen, uns auch einmal in Meiningen aufzusuchen, etwa im nächsten Januar oder Februar – wenn auch nicht gleichzeitig mit Eggelings, die dann ein || paar Tage kommen wollen. Sie und ihn allein zu haben, ist schon schöner!

Mitte März hoffen wir wieder nach der Riviera (Cap Martin) reisen zu können, um uns den den Respirationsorganen unzuträglichen Märzlüften des Werrathalʼs zu entziehen.

Meine Frau trägt mir herzlichste Grüße an Sie auf und läßt Ihrer Frau Gemahlin viele Empfehlungen ausrichten, denen sich gerne anschließt

Ihr

Ihnen sehr ergebener

Georg

Altenstein | 9.12.99.

a gestr.: sich; b korr. aus: halten

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
09.12.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10243
ID
10243