Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 30. Mai 1892

Heidelberg 30/V 92.

Liebster Freund!

Nachdem in Ligurien unsere Wege zu keiner Convergenz gelangen konnten, sollen Briefe den Dienst nicht versagen und da mag Dir dieser gleich melden, daß ich in der Woche nach Ostern, sehr erfrischt und befriedigt von dem Erlebten in der Heimath angelangt bin. Leider fiel mir in den Genuß italischer Landschaft zu Rapallo ein schriller Mißton durch die Nachricht vom Ableben meines Schwagers Streng in Hamburg. ||

Ich ward durch diese Kunde die ich absolut unvorbereitet empfing, tief erschüttert. So sollte denn auch hier wieder dunkler Schatten neben hellstem Lichte sich zeigen.

Auch hier bei meiner Ankunft fand ich nicht Alles in wünschenswerthem Zustande. Meine Frau, die mir zwar von ihrer Erkrankung Mittheilung gemacht hatte, war durch jenen Anfall mehr herunter gekommen als wir uns vorstellen konnten. Erst nach Wochen erholte sie sich. Daß es aber an Erfreulichem nicht ganz || fehle, ließ Fritz zum erstenmale ein ganz gutes Zeugniß erblicken und überhob mich damit, wenigstens für die nächste Zeit, der Sorge um sein Fortkommen.

Inzwischen ist nach manchen winterlichen Rückschlägen, der Sommer hereingebrochen und das Semester ist in vollem Gange. Es wird mich a wesentlich mit meinem Lehrbuche beschäftigt finden, welches mir eine Last zu werden beginnt. Und doch kann ich diese nicht abschütteln, ohne die bis jetzt darauf verwendete Arbeit in ihrer Fortwirkung in Frage zu stellen. Es käme mir || wie eine Art Selbstmord vor! So bleibt mir nur die Sehnsucht nach dem Ende der Auflagen-Campagne um dann wieder zu anmutender Thätigkeit mich zu wenden.

Du hast Deine Reise hoffentlich gleichfalls befriedigt abgeschlossen und Deine liebe Frau, die ich zu grüßen bitte, hat sich dabei vollständig erholt. Dann hast auch Du eine Sorge weniger und kannst Dich des jetzt wohl auch in Thüringen eingezogenen Sommers erfreuen, wie ich es hier thue. Lebe wohl!

Stets Dein aufrichtiger

C. Gegenbaur

b Die „Epiglottis“ wird Dir zugekommen sein.

a Dittographie: mich; b am linken Rand der vierten Seite: Die „Epiglottis“ […] sein

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.05.1892
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10132
ID
10132