Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 30. Dezember 1885
Heidelberg, 30. Dez. 85.
Liebster Freund!
Deine freundlichen Zeilen mit besten Wünschen zum Jahreswechsel erwiedernd sage ich Dir zugleich herzlichen Dank für das Photogramm, welches mir ein so treues Brüderpaar darstellt und mir deßhalb doppelt werthvoll ist. Möchtet Ihr noch recht lange Euch aneinander erfreuen und die ewige Jugend welche aus Deinem Antlitze leuchtet Dir erhalten bleiben! Daß es Deiner lieben Frau wieder gut geht, habe ich mit rechter Befriedigung erfahren und bedaure nur nicht das Gleiche aus meinem Hause melden zu können. Vielleicht bringt das neue Jahr Besserung, vielleicht! – So bescheide ich mich || damit daß es wenigstens meinen Kindern und mir gut geht, und füge mich in das Verhängte, das ja immer noch nicht das schlimmste ist. Die Heilkunst erscheint mir bei all dem Erlebten im wunderlichsten Lichte. Wir können uns Glück wünschen nicht zu ihren Priestern zu gehören. Ich gelange jetzt nach und nach wieder ins Fahrwasser der Vergleichung und freue mich darüber, wenn mir auch vor dem Wust graut, durch den ich mich, wohl oder übel, durcharbeiten muß. Leider ist mir die Zeit sehr sparsam zugemessen, da ich seit langem nicht mehr in die Nacht hinein arbeiten darf. Neulich habe ich es wieder einmal versucht und mir den Schlaf auch noch den anderen Tag geopfert! Da verbietet es sich denn.
Für den offerirten Stenops danke || ich bestens. Ruge ist mit seiner Arbeit fertig, dh. die Prosimier bildeten nur eine Vorarbeit für die Primaten, die wohl bald zum Drucke kommen werden. Ich halte es jetzt für wichtiger, Andere auf richtige Bahnen zu leiten, denn selbst thätig einzugreifen. Jenen gehört die Zukunft. Damit soll nicht gesagt sein daß ich mich zur Ruhe setzen wollte.
Wenn Du nach Potsdam schreibst so bitte ich Deiner Frau Mama wie Deinem Bruder herzliche Grüße zu melden. Dieselben empfange auch für Dich und Deine l. Frau von mir und der Meinigen, und zum Schluße noch viele gute Wünsche zum neuen Jahre welches Dein großes Radiolarienwerk hoffentlich nicht allzuspäte erblicken wird.
In Treue Dein
CGegenbaur