Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Lugano, 19. September 1885

Lugano, 19. Sept 85

Liebster Freund!

Seit sechs Wochen lebe ich in der Erwartung eines Lebenszeichens von Dir, aus dem ich zugleich hätte ersehen können, wie und wo der Wunsch mit Dir zusammenzutreffen, auszuführen wäre. Meine Hoffnung hat mich leider getäuscht. So bin ich denn vor 8 Tagen über den Gotthard resp. durch denselben gezogen und befinde mich hier im kleinen Hôtel Reichmann im Genuße der erwünschten Ruhe und herrlicher Landschaft.

Inzwischen ist es mir wechselvoll ergangen. In Heidelberg hatte mein Fritz noch die Masern zu überstehen, und auch meine Frau war so leidend, daß eine gemeinsame Reise mir sehr abenteuerlich vorkam. Aber der Arzt drang darauf. So kamen wir nach Konstanz, etwa am 18 August, beabsichtigten anderen Tag wieder Heiligenberg aufzusuchen. ||

Schon am Abend jedoch ward Else von heftigem Fieber befallen und es entwickelte sich eine folliculäre Angina, die uns 8 Tage in Konstanz hielt!

Da meine Frau nicht gehen konnte, indem sie bei jedem Versuch von heftigen Schmerzen befallen wurde, ergab der folgende dreiwöchige Aufenthalt in Heiligenberg nicht viel Erfreuliches zumal in den letzten acht Tagen Regen und Kälte jede Behaglichkeit zerstört hatten. Wir trafen dort Deinen alten Lehrer, den jetzigen Bonner Curator, und da kannst Du Dir denken, daß viel von Dir die Rede war. Am 12ten Sept. instradirte ich meine Familie von Konstanz wieder nach Hause und begab mich bei herrlichstem Wetter nach Lugano. So erhole ich mich denn eigentlich erst hier, wo mir freilich doch nur eine relativ kurze Zeit gegönnt ist. Zu Anfang October gedenke ich wieder zu Hause einzutreffen.

Jetzt scheint um die Dorpater Professur eine große Hetzjagd stattzufinden. || Es scheint mir als ob Bardeleben die meiste Aussicht habe. Ob man das in Jena beklagen wird? Jedenfalls dürfte sich bei jener Eventualität für Deinen Neffen eine freiere Aussicht ergeben.

Ich bin begierig von Dir zu hören und beklage nochmals daß mein Wunsch mit Dir wieder einmal zusammenzutreffen unerfüllt blieb, ich hatte mich recht auf Dich gefreut, und möchte Dir jetzt schwere Vorwürfe machen, daß Du nicht geschrieben, wenn ich a nicht dächte, daß Dir etwa ein unliebsames Hinderniß begegnet sein könnte.

Lebe wohl und sei tausendmal begrüßt

von Deinem aufrichtigen

CGegenbaur

a von oben eingefügt: ich.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.09.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10075
ID
10075