Bedriaga, Jacques von

Jacques von Bedriaga an Ernst Haeckel, Florenz, 24. Oktober 1905

Florenz, 13, Via del Pellegrino.

d. 24. Oktober 1905.

Innigst verehrter und lieber Herr Professor,

Zürnen Sie mir nicht, dass ich Ihnen den schlecht gelungenen Druck im „Avante“ geschickt hab. Meine Frau kam von ihrem Spaziergang heim und sagte mir, dass an allen Strassenecken ihr Portrait ausgehängt sei; ich rannte, wie besessen, hinaus, um zu sehen, was denn los ist und, ohne daran zu denken, dass das Bild Ihnen nicht gefallen kann, sandte ich es ab. Modell gesessen hat dem Künstler jemand, der eine entfernte Aehnlichkeit mit Ihnen hat und das italienische „Vorwärts“ ist nicht gerade mein Lieblingsblatt, aber seine Absicht, Sie im weiten Kreise bekannt zu machen, missfällt mir nicht. In Tausch senden Sie mir eine wirklich schöne Wiedergabe eines Kunstwerkes und ich bin Ihnen sehr dafür dankbar. Die lieben Zeilen – als Zugabe – muss ich immer wieder lesen, als wenn dazwischen noch || was zu entdecken wäre. Aber bei der Ansicht Ihrer lieben Handschrift, wandern um so leichter die Gedanken auf den mir so theuer gewordenen Wegen. Ihr ganzer Wirkungskreis, den ich so glücklich gewesen bin mit leiblichen Augen mit angesehen zu haben, tritt dann umso klarer und in schärferen Zügen auf. Und dabei kommt mir stets dieselbe Frage in Sinn: was wäre aus Darwins Werken geworden, wären Sie nicht da gewesen, um den schwerfälligen menschlichen Geist wachzurütteln? Der Vergleich mit der Christenlehre und den Evangelisten passt hierher nicht, aber esa drängt sich trotzdem auf. Allerdings es sind viele Männer da, die alles „besser wissen“, so in Freiburg, aber der betreffende hat sich gar zu spät entpuppt und an der fremden Milch hat er sich erst satt gesogen. Und dann, wem haben wir den riesigen Aufschwung der Entwicklungsgeschichte im allgemeinen und im speciellen zu verdanken? Doch nicht dem Huhn His’; den Leitfaden, der für jedweden Fall passt, alles vereinfacht und diese Wissenschaft allen zugänglich macht, haben Sie ein für alle Male gegeben. Ich weiss nicht, ob Sie je daran gedacht haben, || dass Sie, ohne je ein Handbuch mit so und so vielen Färbungsmethoden veröffentlicht zu haben, ein solches hinterlassen. Wenn ich b heutzutage sehe, wie die jungen Leute mit ihren schwierigen Themata rasch fertig werden und sie danach frage, wie sie dazu gekommen sind, so bekomme ich stets dieselbe Antwort: der Professor hätte es beigebracht und dann sind die neuen Reagentien da; dass der betreffende Professor ein brauchbarer Schöpfeimer ist und das der Brunnen, wo er sich die Wahrheit und seine ganze Weisheit geholt hat, wo anders zu suchen ist, merken sich die Leute nicht. Es ist viel Gutes und viel Böses über Sie gesagt worden, das eine aber nicht und das wäre, dass Sie die Schulung (wenn ich mich so ausdrücken darf) des menschlichen Geistes mit Erfolg unternommen haben. Und insofern haben Sie recht, wenn Sie „maestro di scuola“ signiren.

Ich bin Ihnen, mein theurer Lehrer und Meister, in Italien auf Schritt und Tritt gefolgt. Die „Giordano Bruno festa“ habe ich im Geiste mitgemacht, dann erfuhr ich über Ihre Erholungspause in Rapallo, ich las über die Feier in Genua und hörte auch, dass Sie, bis nach Bordighera gewandert sind. In Villefranche habe ich gehört sagen, dass Sie || „menschenscheu“ geworden sind! Ihr Siegeszug in Berlin war die Widerlegung dieses Gerüchtes.

Wie gern möchte ich Sie wiedersehen und Sie nochmals, nicht in einem Prunksaal, sondern im Jenenser Auditorium sprechen hören. Leider, leider gehen meine Wünsche nie in Erfüllung! So, z. B., war es mein Wunsch gerade nicht nach Florenz zu übersiedeln, denn ich habe es vorausgesehen, dass hier alles nach dem Cimabue-moder duftet, aber hier wenigstens kann ich mit meinen Mitteln auskommen und brauche nicht am Bureaukratiewagen in meinem Vaterlande zu ziehen.

Dass wir, meine Frau und ich, oft, sehr oft über Sie sprechen, können Sie sicher sein. Meine Frau liest augenblicklich die „Welträthsel“; sie bittet mich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin ihre wärmsten Grüsse und Empfehlungen zu übermitteln; ich füge die meinigen hinzu und wünsche Ihnen von ganzem Herzen Gesundheit und viel und nur Freude.

Der treueste von Ihren treuen Schülern

Dr. J. v. Bedriaga.

a eingef.: es; b gestr.: die

 

Letter metadata

Recipient
Dating
24.10.1905
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 7852
ID
7852