Besser, Käthe

Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn, 1. März 1899

Bonn 1.III.99.

Verehrtester Freund,

Am Liebsten hätte ich mich gleich nach Empfang Ihres lieben Briefes zur Antwort hingesetzt die Ihnen so ganz frisch mein Empfinden und meine Gedanken wiedergespiegelt hätten, aber wohl besser, in jedem Fall „vernünftiger“ so. Und auch heute wissen Sie wohl, wie Sie mich einerseits mit Ihrem Vertrauen, das ich wie ein Heiligthum in mein Herz senkte, beglückten, andrerseits mich die Bestätigung meiner Vermuthungen, tief traurig machten. Neues – bis auf das unglückselige Zusammentreffen Ihres Geburtstagsdatums – brachten mir Ihre lieben Zeilen nicht. Das Leben ist halt eine unendlich schwere Aufgabe, und wohl dem, der wenigstens einmal wahres Glück besessen! –

Daß unsere Riviera-Reise nun als stolzes chateau d‘Espagne zusammen gesunken – beklage ich, – aber trotz kühnster || Phantasiegewebe glaubte ich nur selten an die Verwirklichung. Vielleicht könnten wir uns aber, in der zweiten Hälfte Ihrer Osterferien, in Baden-Baden treffen? Ich habe nämlich hier meine mir von Senator verschriebene Kur mit Abreibung, Massage etc. – begonnen, mich aber in den letzten Nächten schon sehr krank gefühlt, daß ich mich dem Hades ganz nah fühlte. Druck und Engigkeit auf dem Herzen, dazu die böse Schlaflosigkeit. Ich glaube nicht an nervöse Beschwerden sondern nur an ein nicht erkanntes organisches Leiden, daß eben aus ersterem entstanden ist, und wenngleich 20 Jahre jünger als Sie, verehrter Herr Professor, hoffe ich vor Ihnen zu Staub zu werden. Auch die beständige Sorge um meinen Mann resp. die Vorstellung einer nahen Katastrophe, denn er klagte fortwährend über Schwindel, Eingenommenheit des Kopfes, und sieht auffallend wechselnd aus, trägt nicht || dazu bei, das Leben leichter zu machen. Er geht im Mai in sein 80. Jahr und findet sich aber so garnicht in die Beschwerden seines hohen Alters. Und er hängt noch so sehr am Leben, wie ich es nie gekonnt.

Vielen Dank noch für die liebenswürdige Uebersendung des Journals le Rive. Aber ich finde les larmes sind Einem doch „schließlich“ näher als das Lachen. Wundervoll ist das Bad im Jordan. a Wennb die „unerlöste Sünde“ da oben so weiter wirthschaftete, kämen wir gewiß zu den Heyreyro-affen zurück. –

Sehr interessirte mich’s den neuen Titel Ihres großen Werkes zu hören, und kann ich nicht läugnen, daß – „das Welt-Räthsel“ mir sehr gefällt d. h. eben der Titel, denn an Räthseln in der Weltc geht man schließlich zu Grunde. || Ich freue mich unbeschreiblich auf das Erscheinen des Buches und wird mein inferiorer weiblicher Intellekt hoffentlich soweit hinreichen auch goldene Körner – findet doch ein blindes Huhn sogar welche – daraus zu sammeln. Im Herbst erscheint es? Aber bis dahin sehen wir uns hoffentlich, hoffentlich, vorausgesetzt – das erweiterte cor hält noch aus! – Sie merken an meiner Stimmung

Wie eine riesige Spinne sitzt

Im fahlen Netz Melancholei –

Kein Winden und kein Wehren nützt

Sie giebt die Seele nimmer frei. –

Da spukt sie wieder – die Seele – die schließlich nur ein zuckender Nervus! Doch Sie zucken auch, und zwar die Achseln über mein pathologisches Geplauder dem heute jeglicher Humor fehlt. Vielleicht das nächste Mal! Oder darf ich nicht so oft schreiben? In warmer Verehrung mit herzlichem Gruß

Ihre treu ergebene

Käthe Besser

a gestr.: Aber, b korr. aus: wenn; c eingef.: in der Welt

 

Letter metadata

Recipient
Dating
01.03.1899
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 7547
ID
7547