Bender, Hedwig

Hedwig Bender an Ernst Haeckel, Eisenach, 6. Februar 1898

Eisenach 6/2 98.

Kapellenstr. 8.

Hochverehrter Herr Professor!

Sie ahnen schwerlich, welche große Freude Sie mir durch Ihr liebenswürdiges Entgegenkommen u. durch die interessante Sendung bereitet haben, die vorgestern Morgen richtig in meine Hände gelangte. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank dafür! Wenn ein Mann wie Sie versichert, daß er seit mehr als 30 Jahren für eine Anschauung eingetreten sei, ohne einen nennenswerthen Erfolg zu erzielen, so muß das ja freilich eigentlich jeden Vertreter dieser Anschauung muthlos machen u. seine Hoffnung || auf einen endlichen Sieg derselben als eine sehr gewagte erscheinen lassen. Nichts destoweniger überwiegt für mich die Freude, mich in dieser Frage mit Ihnen in Übereinstimmung zu wissen, zunächst alle sonstigen Skrupel u. Zweifel. Wer seinen Weg so einsam gegangen ist, wie das bei mir der Fall gewesen, dem kann ja keine größere Freude zu Theil werden als sich unversehens in seinen Resultaten mit einem der sehr, sehr Wenigen zu begegnen, derena Ansichten über die höchsten wissenschaftlichen Fragen auch für den vom allergrößten Gewichte sind, der sie selber etwa nicht theile. – Was Sie von der Abneigung || gegen das „Nachdenkenmüssen“ sagen, trifft übrigens die willkürlich spekulierenden Philosophen genau so gut wie die sogenannten „exakten“ Naturforscher – denn das Spekulieren ins Blaue hinein, das sich der Erfahrungsgrundlage möglichst entschlagen möchte, ist aber auch kein Nachdenken, sondern ein bloßes Phantasieren u. als solches denn freilich auch viel bequemer als das wirkliche geistige Durchdenken u.b Verarbeiten des in Anschauung u. Wahrnehmung thatsächlich Gegebenen – weshalb man sich auch nicht verwundern kann, daß jenes sehr viel weiter verbreitet ist! Diese schlechte Gewohnheit des abstrakten Spekulierens hat die Philosophie aber leider aufs Schwerste geschädigt. Eine Folge davon war auch, daß sie der Natur-||wissenschaft bisher noch verhältnismäßig so wenig geboten hat, womit diese wirklich etwas anfangen konnte, was die Abneigung der „Exakten“ gegen sie entschuldbarer macht. –

Also noch einmal meinen wärmsten Dank! Ich werde mich sobald als möglich in das Studium der „Generellen Morphologie“ u. speciell der von Ihnen bezeichneten Kapitel versenken u. freue mich schon jetzt darauf. Die Festschrift habe ich gestern schon mit herzlicher Antheilnahme u. wahrer Erbauung gelesen u. nur bedauert, daß ich seiner zeit nicht auch an Ihrem Ehrentage – d. h. an der Feier desselben – Theil nehmen konnte.

Mit größter Verehrung

bleibe ich

Ihre

Hedwig Bender

a korr. aus: dessen; b eingef.: Durchdenken u.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
06.02.1898
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 7272
ID
7272