Goetz, Georg

Georg Goetz (Dekan) an die philosophische Fakultät der Universität Jena, Jena, 12. Januar 1886

Senior venerande,

Assessores gravissimi.

Herr Dr. Johannes Walther aus Weida hatte in einer Eingabe vom 28. October 1885 mitgetheilt, dass er sich zur Habilitation für Geologie und Palaeontologie zu melden gedenke, und zu diesem Zwecke und Dispens von der Beibringung des Maturitätszeugnisses nachgesucht. In dem am 31. October abgehaltenen Consess wurde die Entscheidung über die Dispensfrage bis nach erfolgter definitiver Meldung vertagt. Diese Meldung ist nunmehr am 9. Januar eingegangen. Ich ersuche deshalb Herrn Collegen Steinmann um ein Referat über die Habilitationsschrift (Untersuchungen über den Bau der Crinoiden der Solnhofer Schiefer und Kelheimer Diceraskalke), Herrn Collegen Haeckel um das Correferat. Unter den Zeugnissen fehlt das Doctordiplom, das ich bei einem Jenenser Doctor für entbehrlich hielt. Ich werde es noch nachträglich einfordern.a Die Entscheidung über die Dispensfrage wird wohl in einem Consess zu treffen sein.

Hochachtungsvoll

Jena den 12. Januar 1886.

Georg Goetz

d. Z. Decan ||

Die eingesandte Arbeit des Dr. Johannes Walther, betitelt: „Untersuchungen über den Bau der Crinoiden der Solnhofer Schiefer und des Kelheimer Diceras-Kalks“ muß wegen der darin angewendeten Methode, die entwickelungsgeschichtlichen Daten der lebenden Crinoiden zur Klarstellung der complicirten anatomischen Verhältnisse der fossilen Crinoiden zu verwerthen, als eine vorzügliche Leistung auf paläontologischem Gebiete angesprochen werden. Sorgsame, unter Anwendung der feinsten Hilfsmittel paläontologischer Präparirtechnik angestellte Beobachtungen über den Bau einiger oberjurassischer Crinoiden haben dem Verfasser eine Anzahl von Problemen gestellt, für die befriedigende Lösungen gesucht und gefunden wurden. Überall tritt dabei das Bestreben hervor, die erkannten Thatsachen geistig zu verarbeiten und sie in wahrhaft wissenschaftlicher Weise zur Herleitung allgemein gültiger Gesetze zu verwerthen. Vielfach werden Anknüpfungspunkte in der über den Gegenstand vorhandenen Literatur gesucht, um die vorgebrachten Erklärungen zu stützen. Der Werth und die Bedeutung der Arbeit werden keineswegs dadurch herabgemindert, daß der vom Verfasser vertretene Standpunkt bezüglich der ausschlaggebenden Bedeutung der Ontogenie für die Erklärung des paläontologischen Materials nicht von allen Seiten getheilt werden dürfte. Die Darstellung zeugt von Klarheit im Denken und großer Gewandtheit im Ausdruck des Gedachten.

Somit spricht die vorliegende Arbeit für eine nicht gewöhnliche Begabung ihres Verfassers.

Jena, d. 25sten Januar 1886

G. Steinmann

Dem vorstehenden Urtheil des Herrn Referenten schließe ich mich als Correferent vollständig an, und füge nur noch hinzu, daß die vorgelegte Abhandlung die Hoffnungen rechtfertigt, welche ich auf Grund mehrjähriger persönlicher Erfahrung von dem außergewöhnlichen Talent, dem unermüdlichen wissenschaftlichen Eifer und der originellen Productivität des Dr. Joh. Walther mir gebildet hatte. || Selbst wenn die neuen Anschauungen, welche in dieser Arbeit über die verwickelte Morphologie und Phylogenie der Crinoiden niedergelegt sind, theilweise sich als unrichtig erweisen sollten, würden sie ein sehr dankenswerthes Hülfsmittel für das tiefere Eindringen in dieses schwierige Gebiet liefern. Die sinnreiche Art und Weise, in welcher der Verfasser die ontogenetische und palaeontologische Untersuchungs-Methode combinirt und auf die Lösung der allgemeinen morphologischen Probleme des Gegenstandes anwendet, zeigt, (– ebenso wie die früheren morphologischen und geologischen Arbeiten des Verfassers –), daß derselbe versteht, sich schwierigen wissenschaftlichen Aufgaben zu stellen und unter Anwendung der neuesten Methoden selbständig ihrer Lösung entgegenzuführen. Mithin entspricht die Arbeit nach meiner Ansicht den Anforderungen, die an eine gute Habilitations-Schrift zu stellen sind und dürfte (– im Verein mit dem günstigen Urtheil, das wir außerdem von unserem früheren Schüler uns gebildet haben –) die Bewilligung des nachgesuchten Dispenses wohl rechtfertigen.

Jena 29. Januar 1886

Ernst Haeckel ||

Laut den vorstehenden günstigen Urtheilen kann es nur erwünscht seyn, eine solche tüchtige Kraft für unsere Universität zu gewinnen und ein formales Hinderniß durch Dispensation zu beseitigen. | Stickel | Ebenso A. Schmidt | Thomae | A. Geuther

Durch einen Irrthum sind die vorstehenden Gutachten vor der Einladung zum Consess den Herren Collegen Stickel, A. Schmidt, Thomae und Geuther vorgelegt worden. Um nicht dem Diener doppelte Arbeit zu machen, habe ich die weitere Circulation inhibirt.

Jena, den 29. Jan. 1886

Georg Goetz

d. Z. Decan.

a eingef.: Ich werde es … nachträglich einfordern.

 

Letter metadata

Author
Dating
12.01.1886
Place of origin
Country of origin
Destination
Jena
Possessing institution
UAJ
Signature
UAJ, M 644, Bl. 95r-96v
ID
47712