Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 9. Januar 1897

Marburg 9. I. 96.[!]a

Geliebter und verehrter Freund!

Ihr liebes gutes Schreiben hat mich nicht beruhigt, aber doch etwas Hoffnung mir eingeflößt. Drei Monate an der Riviera können schon etwas ausgeben, um Ihre armen Kranken allmählich auf den Weg einer anhaltenden Besserung zu bringen, und sicherlich wird Sicilien Ihnen die volle Arbeitskraft wieder geben. Ich beeile mich, Ihnen || zu danken, weil der Februar bald da sein wird, und ich Ihnen mitzutheilen habe, daß mein Neffe Gödel-Lannoy, der auf zwei Jahre in Disponibilität gegangen ist, mit Frau und Tochter in San Remo sich befindet und bis halben März dort zu bleiben gedenkt. Er dürfte wohl in der Zwischenzeit seinen Damen ein paar Mal durchgeh’n; kommen Sie aber nach San Remo, während er gerade dort ist, so würde es ihn sehr freuen, Sie zu seh’n, weil er stolz darauf ist, || Sie in Klagenfurt kennen gelernt zu haben.

Meine Kinder, die Ihre lieben Grüße herzlichst erwiedern [!], dürften nach Meran und dann nach Dalmatien sich begeben wegen der alten Frau, die immer etwas leidend ist. Ich rühre mich nicht, bis sie wieder in Krumpendorf sind, ganz zufrieden, wenn ich mich noch einmal auf wenige Wochen hinschleppen kann. Ich leide weniger, aber die Kräfte nehmen in merklicher Weise ab. Daß ich mir daraus nichts mache, hat || seinen Hauptgrund darin, daß niemand auf mich angewiesen ist, und dies mir gestattet, dem Gefühl, genug von dieser Welt zu haben, mit gutem Gewissen mich hinzugeben. Ich schaue noch ein paar Jahre mit Interesse zu, wie man im Theater sich unterhält, obwohl man weiß, daß es bald aufhört. Nur meinen Kindern darf nichts fehlen; da verliert meine Philosophie gleich das Gleichgewicht. Hab’s durchgemacht, und darum geschieht mir so hart um Sie. Da heißt’s, immer sich gegenwärtig halten, daß es keine Weltlenkung giebt und alles nur sein kann, wie es ist, aber unter Umständen auch besser werden kann. Mit einem Hoch! auf die Umstände Riviera & Sicilia aus ganzer Seele Ihr dankbar ergebener

B. Carneri

Das Loos Ihres Triestiner Freundes ist wohl entsetzlich.b

a Datierung irrtüml.; b Text auf dem oberen Rand von S. 1, um 180°gedreht: Das Loos … wohl entsetzlich.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
09.01.1897
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 4701
ID
4701