Ritter, Paul von

Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 28. Juni 1893

Basel | 8 Schaertlingasse 8./.

28 Juni 1893./.

In Antwort auf Ihre geehrte Zuschrift v. 24 Juni 1893 und des freundlichst übersandten Werkes „Über Zellströme“

Hochgeehrter Herr Professor,

Wer da weiß mit welchen materiellen und moralischen Schwierigkeiten die Herausgabe eines wissenschaftlichen Werkes verknüpft ist, begreift die Mühe, welche Sie bei der Abfassung Ihrer ausgezeichneten Abhandlung über Zellströme gehabt haben und welche ich, Ihnen bestens verdankend, mit großem und gespanntem Interesse gelesen habe. – Angesichts des schönen Eindrucks, welchen dieselbe auf mich gemacht a hat und des tiefen Nachdenkens, welche einzelne Stellen desselben in mir hervorgerufen haben, – erlaube ich mir an der Hand der auf uns überkommenen || Aufzeichnungen der älteren griechischen Philosophen-Schüler unter deren Repräsentanten ich Anaximander ./.' προν/, Anaximenes, Heraclit, Empedokles und Democritzu nennen hätte über das Wesen der Substanz und die Kontinuität der Kraft und an der in neuester Zeit von Maxwell entdeckten Thatsache, welcher zufolge aus einem elektrischen Strome vermittelst eines Hohlspiegels Licht erzeugt würde, welches sich nach der Spektralanalyse wie natürliches Sonnenlicht verhielt, die höfliche Bemerkung: ob nicht die von Ihnen in dem ein- und aussteigenden Schleimhautstrome bewegte elektromotorische Kraft durch das Relationsvermögen der Epithelialsubstanz der Oberhaut und der Sonnenstrahlen in die Schleimhautdrüsen, welche der elektrischen Kraft als Accumulatoren dienen, eingeführt, sich von hier aus || durch die Versetzung der Moleküle und unter Einwirkungb des Stoffwechsels in andere substantielle Kräfte verwandeln könntec? –

Die an Sie übersandte Schrift über Phylogenie und Hygiene gründet sich auf den biogenetischen Grundsatz:

„Die Keimesgeschichte des Menschen ist eine Wiederholung seinerd Stammesgeschichte

und

auf dem der vernunftgemässen Logik:

„daß die Entwickelung des Ganzen auch die Entwicklung seiner Theile zur Folge haben muß.“ –

Daß der modernee Mensch von der Protamoebe primitiva so weit entfernt ist, ist nicht meine Schuld. – ||

Arm und reich können aus ihr das schöpfen, was ihnen ihre materiellen Mittel erlauben und wenn sie von ihrem alten Schlendrian ablaßen, so ist damitf auch schon viel g erreicht. – Auch hatte diese Schrift den Zweck zu zeigen, daß die so oft ins Lächerliche gezogene Abstammung des Menschen vom Affen nicht alleinh das kulturerzeugende Element der Entwicklungslehre ist. –

In der Überzeugung, daß Sie diese freundliche Auseinandersetzung nicht übel nehmen, zeichne, Sie bestens begrüßend,

Hochachtungsvoll Paul Ritter

a gestr.: und; b eingef.: unter Einwirkung; c korr. aus: könnten; d gestr.: der; eingef.: seiner; e korr. aus: modenne; f eingef.: damit; g gestr.: damit; h eingef.: allein

 

Letter metadata

Recipient
Dating
28.06.1893
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 46641
ID
46641