Crompton, Ella von

Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Grunewald, 15. Februar 1915.

Berlin-Grunewald, Charlottenbrunnerstr. 4

15.II.15.

Hochverehrte Excellenz,

die allerherzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche möchte ich Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, zu Ihrem morgenden Geburtstag sagen. Von ganzem Herzen hoffe ich, daß Sie Ihr neues Lebensjahr bei guter Gesundheit und Frische antreten möchten; und den Tag froh und gesund verleben möchten.

Hoffentlich ist auch das Befinden Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin ein Gutes.

Ich hoffe, daß das Tischchen, das ich vorige Woche an Ihre Adresse sandte, gut u. wohlbehalten angekommen ist, welches ich Sie bitte, als kleine Aufmerksamkeit freundlich von mir anzunehmen. Vielleicht finden Sie noch ein Plätzchen dafür u. können es fleißig || benutzen. Das erstere, frühere ist wohl nicht mehr ganz gut. Dieses hatte ich doch für Cöln. Ausstellung gearbeitet u. bekam es im Herbst noch ganz unausgepackt zurück. Solch eine Bummelei herrschte auf der unfertigen Ausstellung; es war von Anbeginn total verschwunden und fand sich dann endlich auf ganz energisches Vorgehen von mir ein.

Meinen Brief, in dem ich Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, für Ihre mir getane Weihnachtsfreude herzlich dankte, haben Sie wohl erhalten. Ich hörte die ganze Zeit nichts von Ihnen, u. wollte lange, lange an Sie schreiben, doch bin ich seit dem neuen Jahr kaum zur Besinnung gekommen.

Seit 14 Tagen liegt mein Mann an einer schweren Lungenentzündung. Es war sehr ernst, der Arzt kommt tägl. ein paar Tg. sogar 2 x. Seit über 8 Tg. habe ich eine Schwester zur Pflege, weil ich es nicht mehr durchsetzen konnte bei dem hohen Fieber die ununterbrochene Tag- und Nachtpflege. Donnerstag war nun die Krisis, das Fieber ist jetzt gefallen, aber es wird wohl noch lange Zeit vergehen, bis er wieder halbwegs || in Ordnung kommt. Dazu sah es mit seinen Nerven sehr böse aus.

Ich hatte mir vor 8 Tg. an einem kl. Riß am rechten Arm eine Infektion zugezogen, die sehr schlimm wurde, sodaß der Arm geschnitten werden mußte, was mich sehr bei allen Arbeiten hinderte u. noch hindert.

Am 3. Januar wurde mein guter, armer Vater endlich von seinem jahrzehntelangen Leiden erlöst. Ich bekam die Nachricht am Tage darauf u. fuhr dann zur Beerdigung nach Kgb., dank Ihres guten Weihnachtsgeschenkes, das mir die Reise ermöglichte, wofür ich Ihnen nun noch ganz besonders dankbar wurde.

Dort gab es natürlich Aufregungen u. Kränkungen die Menge. Z.B. wurde ich auf der Landschaft von dem Syndikus derselben empfangen, als ich wegen der Regulierung dort war, daß ich (überhaupt eine Tochter) überhaupt noch existierte, das hätte niemand aus der Todesanzeige entnommen. Auf die Weise erfuhr ich, daß meine Tante, die mich doch überall immer als „schwarzes Schaf“ verschrien, so taktlos gewesen u. eine Anzeige erlassen von ihrem „über alles geliebten Bruder, Schwager, Onkel etc.“ im Namen der ganzen Hinterbliebenen. Na – || so gab es noch eine ganze Menge derartiger Liebenswürdigkeiten; ich war nur heilfroh, daß ich überhaupt hingefahren, denn sonst hätte es unangenehm für mich werden können. So nahm ich an Ort u. Stelle durch Gericht Alles in die Hand u. rettete mir doch so wenigstens etwas. Ziemlich trostlos ist ja der ganze Zustand, die Vormundschaftswirtschaft hat viel, viel verschuldet – dazu kommt jetzt noch der allgemeine, schlechte Stand, da ist Vieles ganz ausgefallen; ein paar ostpr. Pfandbrief, zur Zeit wegen des eigenen niedrigen Standes unverkäuflich. – – – –

Es berührte mich doch eigenartig, als ich im Schlitten über die weite schneebedeckte Fläche meiner Heimat nach der Anstalt fuhr u. ein alter Kutscher, der noch Pferdejunge auf meinem großväterlichen Gut gewesen, mich fuhr u. von all den alten Zeiten sprach. Eine Unterredung mit dem Direktor ergab nichts Neues. Eine Sektion hatte nicht stattgefunden, da nur 2 Ärzte für die 1200 Kranken zur Zt. da sind. Altersschwäche hat den Armen endlich von seinem Leiden erlöst. Ich habe ihn noch einmal zum letztenmal gesehen u. erschrak im ersten Augenblick über das winzig kleine Köpfchen, das der in meiner Erinnerung große, stattliche Mann bekommen hatte. Ich beneidete ihn ordentlich bc um sein nun endlich „Ausruhen“ können. Ich wohnte während d. Zeit bei mei-||ner Jugendfreundin, die u. ihr Mann mir bei Allem dort sehr treu zur Seite gestanden. Wenn unsere Ansichten auch nicht die gleichen sind, sie hängt sehr an mir u. hat sich auch jetzt wieder treu wie Gold gezeigt. Das ist so wohltuend, besonders wenn man sonst üble Erfahrungen macht.

In Ostpreußen schaut man aber doch mehr vom Kriege, wie hier. In Wetzlau haben sie die Brücken gesprengt (die ich noch gezeichnet habe) Häuser eingeäschert, einen russischen Bürgermeister eingesetzt.

In Allenberg Posten vor die einzelnen Krankenhäuser gestellt, nichts erlaubt, daß gekocht wurde, (der Schornstein benutzt würde), die mußten dort auf der Erde kochen. Weiteres wußten sie dort nicht, weil sie Furcht vor den Kranken hatten.

Einige Ortschaften vollständig eingeäschert und Einwohner getötet. Das ganze Herdbuchreich aus Ostpr. ist vernichtet. ||

4 klm. vor Kgb. waren sie schon.

Die neuen Schützengräben u. Drahtverhaue hab ich auch gesehen u. viel Not u. Elend. Es ist doch ein großes Glück, daß Ostpr. von den Russen vollständig gesäubert ist. Hoffentlich geht es nur jetzt tüchtig ordentlich vorwärts.

Auf den 18. Febr. freue ich mich schon. Hoffentlich klappt da auch Alles gut, daß wir das hundsgemeine England endlich klein kriegen.

Bitte entschuldigen Sie nur die schlechte Schrift, aber es geht doch zu schlecht noch mit dem Verband.

Bitte empfehlen Sie mich herzlichst Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin, Ihnen wünsche ich nochmals von ganzem Herzen Alles Gute u. Liebe || in treuester, aufrichtigster Dankbarkeit u. Verehrung stets

Ihre Sie so hochverehrende, Ihnen immer treu und dankbar ergebene

Ella von Crompton

P. S. Klein Trautchen wird von Tag zu Tag lieber, das kleine Menschenblümchen u. Naturwunder ist mein ganzer Trost u. Sonnenschein u. hilft mir mit ihrem freundlichen, kleinen Dasein über viel hinweg.

b gestr.: für; c eingef.: um

 

Letter metadata

Recipient
Dating
15.02.1915
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 4500
ID
4500