Crompton, Ella von

Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Eisenach, 27. September 1909

Eisenach, 27. Septr. 09.

Klinik Dr. Könitzer, Kurstr. 2

Hochverehrte Excellenz,

ach lieber, guter, hochverehrter Herr Geheimrat, so recht, recht innig und aufrichtig danke ich Ihnen für die unendliche Freude und großen Trost, die Sie mir durch Ihren gütigen, lieben Brief bereitet haben. Er war ein so köstlicher Morgengruß und Wochenanfang! Herr Geheimrat sind wirklich zu gütig, mir so schnell und dabei doch soeben erst von Ihrer Reise zurückgekehrt, so viel Liebes und Gütiges zu schreiben. Wie unendlich dankbar bin ich Ihnen, daß Sie, sehr geehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, mich Ihrer treuen Freundschaft für würdig erachten. Das hilft mir über viel hinweg und wird mich wieder ganz tapfer machen, was ich heute auch bereits recht brauchen konnte. Ich war nur ganz erstaunt von Ihnen zu hören, daß mein Mann Ihnen geschrieben, hochverehrter Herr Geheimrat, meine Krankheit war doch nicht so wichtig. – Herrn Dr. || Könitzer habe ich Ihre Grüße und Bestellung heute gleich ausgerichtet, er war sehr erstaunt, daß ich Sie kenne, er hat sich recht gefreut und dankt Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, bestens und bat mich, Ihnen auch seine herzlichsten Grüße zu übermitteln. Er erkundigte sich nun noch weiter nach Ihnen u. Jena. Nach Ihren Mitteilungen habe ich nun noch viel mehr Vertrauen zu Hr. Dr. Könitzer als Arzt. Er hat riesig viel zu tun, aber soviel ich gehört, sehr viel unter seinen Kollegen zu leiden, da er ein so äußerst geschickter Chirurg ist. Sie müssen ihn hier zu jeder Operation nehmen, haben ihn aber aus dem Ärzteverband entfernt. Überall Neid u. Mißgunst. – Kürzlich ist auch der Großherzog zu ihm gekommen u. hat sich von ihm am Arm operieren lassen u. ihn hernach noch nach Wilhelmsthal kommen lassen. –

Ich freue mich so sehr, sehr, daß Ihnen, lieber, guter Herr Geheimrat, die Reise so gut getan hat und Ihnen soviel Schönes gebracht hat. Wie gerne möchte ich nur Ihre neuen Aquarelle sehen dürfen. Wieviel Schönes hat Ihre feine Künstlerhand der Natur wieder abgelauscht! Welch große, große Freude gewährt doch Natur u. Kunst Ihnen dadurch als ihrem Auserwählten! ||

Herr Dr. Könitzer erlaubt mir aber noch nicht, morgen zu reisen, da ich gestern beim ersten Aufstehen ohnmächtig wurde, solch schwaches Wesen ist man geworden u. muß erst wieder gehen lernen; heute ging es aber ein wenig besser, so hoffe ich bestimmt, Donnerstag reisen zu dürfen; Freitag ist ja auch der 1.X. und da muß ich doch dahin, sei es wie es will. In einer Beziehung ist es nun ganz gut, da die Möbel erst morgen Abend in die Wohnung geschafft werden können aus ganz törichten Gründen. Der Vormund meines Papa’s, ein Jurist u. meine Tante, als Gegenvormünderin, weigerten sich, mir das mit viel Mühe, aber schon lange bewilligte Umzugsgeld hierher in die Klinik zu schicken, da die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts lautete, es sollte mir erst nach meiner Ankunft in Wilmersdorf gesandt werden u. ich wäre doch nun nicht da. Ich depeschierte, sie sollen es dann sofort an den Spediteur schicken u. machte diesem die Mitteilung. An eine andere Adresse als an mich, durften sie auch nicht senden, ohne besondere Genehmigung, lautete die Antwort. Nun hat der Spediteur die Sachen nicht heraufgeschafft, da er das Geld vom Syndikus nicht bekam u. mein Mann erst Abends eintraf. Nun ist er besetzt der vielen Umzüge wegen und kann erst Dienstag || Abend die Sachen hinschaffen u. beansprucht natürlich doppelten Fahrlohn Lagegeld etc. Ich habe nun das Vormundschaftsgericht ersucht, mir die Mehrkosten zu ersetzen, ebenso daß mein Mann deshalb nun dort tagelang logieren muß, was sonst gar nicht nötig gewesen und dabei ist mein Mann durch die Aufregungen um mich und Entbehrungen, die er sich auferlegt, körperlich so elend geworden, daß er hier bei Dr. K. schon vor Schwäche einmal zusammenbrach. Es ist doch wirklich arg, mit solch verknöcherten, starren Gesetzesmenschen zu tun zu haben, die sich nur an den Wortlaut eines § halten, aber den Sinn garnicht begreifen. Solch ein elender Bureaukratismus! Wenn es nur mal ein bischen gilt, etwas selbständig zu denken, dann versagt der ganze Apparat. Es herrscht doch wirklich manchmal noch sehr viel Atavismus in unserer sonst sich so klug dünkenden Menschheit. – Dazu habe ich Goethe’s Weisheitsspruch recht begriffen „Ein leichtbewegtes Herz ist ein elendes Gut auf der schwankenden Erde“ – Doch, Herr Geheimrat haben mit Ihren Trost-Hinweis so recht und mir so wunderbar wohl getan. Ich bin ja doch so unendlich viel glücklicher, als all die vielen Tausende. Weil ich so viel und reich empfinde, habe ich doch auch so unend||lich viel mehr Freude u. Glück durch Natur u. Kunst, all diese vielen tausend kleinen und großen Freuden, die ich dadurch habe, und die mein Glück ausmachen, können solch kleinliche, kalte Menschen ja garnicht begreifen. Ihr kleines, engbegrenztes Hirn faßt ja all die Wunder und Schönheiten garnicht und ihr ewiger, nur auf das Äußere gerichteter Sinn, läßt sie ja auch garkeine Freundschaft begreifen. –Nun sein Sie mir bitte aber nicht böse, daß ich Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, trotz Ihrer so kostbaren Zeit, so viel von mir vorgeplaudert habe. Ich freue mich ja aber so furchtbar, daß es Ihnen so gut geht u.a bin so sehr stolz und glücklich über Ihre so überaus gütigen, mir so unendlich wohltuenden Zeilen, aus Ihrem Zoolog. „Kloster“ – Trosteinsamkeit. Ihre edle Güte und echte Freundschaft wird mir ein Ansporn sein, wieder vorwärts zu streben und verleiht mir Mut und Vertrauen zur Zukunft. Bitte entschuldigen Sie mir noch den Bleistift-Brief.

Mit vielem, innigem u. aufrichtigstem Dank und hochachtungsvollen Grüßen, mit der Bitte, mir ein wenig gut zu bleiben, bitte, hochverehrter, guter, lieber Herr Geheimrat, || bitte nennen Sie mich doch auch einmal „liebe Freundin“; „hochverehrte“ beschämt mich nur von Ihnen, bitte seien Sie nicht böse, wenn ich unbescheiden bin –

Mit den allerinnigsten Wünschen für Ihr Wohlergehen immer

Ihre Sie aufrichtig hochverehrende, Ihnen stets treu ergebene, unendlich dankbare

Ella v. Crompton geb. Gewert.

a eingef.: u.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
27.09.1909
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 4385
ID
4385