Ernst Haeckel an Fritz Schultze, Jena, 15. Oktober 1877
Jena 15 Oct 77
Lieber Freund!
Zürnen Sie mir nicht, daß ich Ihnen erst heute zu der Geburt Ihres Töchterchens meinen herzlichsten Glückwunsch sende und für Ihre freundliche Anzeige danke. Ich bin erst gestern von Italien zurückgekehrt, wo ich mit meiner Frau mehrere sehr schöne Wochen verlebt und Medusen gefischt habe; eine rechte Erquickung nach dem colossalen und wirklich sehr ergreifenden Trubel in München. ||
Unsere Münchener Turnier-Rede kennen Sie aus den Zeitungen! Was sagen Sie zu Virchow, dem großen „Führer der Fortschritts-Partei“? Eine so starke Rückbildung hatte ich doch von ihm nicht erwartet. Die Sache wird aber ihre guten Folgen haben. In den Augen der großen Majorität hat Virchow natürlich einen glänzenden Sieg erhalten, und die „unsterbliche Menschenseele“ gerettet! In 50 Jahren wird das vielleicht aber Anders aussehen. ||
Für Ihre trefflichen Beiträge zum „Kosmos“ danke ich Ihnen herzlich und bitte Sie um unserer guten Sache willen, damit fortzufahren. Wenn Sie sich entschließen könnten, als Redacteur des philosophischen Theils einzutreten, würde der fatale Caspary, der so viel Unheil angerichtet, leicht zu beseitigen sein. Krause und Alberts haben die besten Intentionen. Und an Organen für unsere Richtung fehlt es ja sonst sehr! ||
Daß Seebeck jetzt abgegangen ist und durch Reg. Rath v. Türck aus Meiningen ersetzt wird, wissen Sie wohl schon. Sonst von hier nichts Neues. Meiner Familie geht es gut, den Winter werden mich noch die Medusen beschäftigen, deren Phylogenie auch hübsche allgemeine Resultate giebt.
Hoffentlich geht es Ihrer lieben Frau und der kleinen Prinzessin recht wohl!
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel.