Ritter, Paul von

Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Paris, 25. März 1894

PARIS, LE 25 März 1894

Hochgeehrter Herr Professor,

Sie werden mich gütigst entschuldigen sobald ich wieder zur Feder greife, um mich bei Ihnen für die mir zugeschickten, gestern aus Biarritz erhaltenen, das Fest Ihres in Jena gefeierten Ehrentages beschreibenden Drucksachen zu bedanken. –

Daß das herrliche Fest durch die || große Theilnahme von Nah und Fern sich zu einem großartigen Triumphe für Sie, die Entwickelungslehre und die monistische Philosophie gestaltete, - daran zweifelt Niemand und noch viel weniger ich, welcher der monistischen Philosophie Alles zu verdanken hat, was dem geistigen und moralischen Menschen die irdische Glückseligkeit || bieten kann. – Aber wer mit unpartheiischem Auge das Festgewand betrachtet, – wird über die Lumpen erstaunen müssen, in welches er eingekleidet war, da in allen beim Festessen gehaltenen Reden kein Wort über die große und hohe Bedeutung der monistischen Philosophie, der Stellung des Menschen in der Natur und dessen geistige, moralische und materielle Abhängigkeit || von den waltendena Naturgesetzen ausgesprochen wurde. – Ein gereinigter Haeckel ist freilich ein Unsinn, aber nach den philosophischen Grundbegriffen der Gegenwart, wo das widersinnige Buch geschmiedet wurde, vielleicht möglich? – Ebenso ging es s. Z. den Elaten in Griechenland, welche die reine Vernunft des Menschen in ein richtiges Verhältniß zur Gottheit oder den waltenden Naturkräften setzen. – Kein Wort erschall darüber in dem Saale des Gasthauses zum schwarzen Bären, wo das Festessen gefeiert wurde und ich bin beschämt das große Opfer der Stiftung für die Phylogenieb in Jena gemacht zu haben. – Nur in Ihrem schönen öffentlichen Dankschrei-||ben in dem mir zugeschickten englischen Journal liegt ein gesunder geistiger Kern. – Alles Wissen ist nach Plato nur eine Erinnerung u. daher die schönen Worte Lenaus wahr:

Wenn die Idee sich wiederfindet

Das ist der Mensch soweit er denkt

Und Gott zugleich der in die Glieder

Des Menschen sich lebendig senkt

Die Menschenhülle Gott umschlingend

Als trauten Gast aus Himmelshöhn

Hier ist Idee so wahr und dringend

So voll so tief so selig schön. –

Entschuldigen Sie Ihre beste Zeit mit diesen Zeilen geraubt zu haben und glauben Sie an die hohe Verehrung und Hochachtung welche zu sein ich die Ehre habe.

Ihr ergebener Paul von Ritter.c

a eingef.: waltenden; b eingef.: für die Phylogenie; c Text weiter auf S. 1, quer zur Schreibrichtung: in dem … Paul von Ritter.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
25.03.1894
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 42850
ID
42850