Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Peters, Jena, 5. Januar 1871

Jena 5 Januar 71.

Verehrtester Freund!

Da ich vermuthe, daß Sie gelegentlich Ihrer vielfachen officiellen Correspondenz in Sachen des Berliner Museums unter Anderem auch mit den Verhältnissen der Wiener Naturalien-Sammlungen bekannt geworden sind, möchte ich Sie freundlichst bitten, mir über deren Verhältnisse einige Auskunft zu geben. Ich habe nämlich kürzlich eine Berufung nach Wien an Stelle des verstorbenen Kner erhalten, und da dieser Ruf mir jedenfalls einen weit größeren Wirkungskreis, als ich ihn hier in Jena finde, verschafft, auch sonst die Bedingungen sehr verlockend sind, habe ich nicht geringe Neigung, demselben Folge zu leisten. || Freilich möchte ich den, für meine ganze fernere Laufbahn entscheidenden Entschluß, von Jena nach Wien überzusiedeln, nicht fassen, ohne vorher über die Verhältnisse der Wiener zoologischen Professur gehörig instruirt zu sein. Denn so beschränkt auch mein hiesiger Wirkungskreis, und so gering auch die hier disponiblen Mittel sind, so habe ich mich doch in den zehn Jahren meiner hiesigen Thätigkeit so angenehm eingelebt, meine Sammlung und mein Institut so ganz nach meinem Geschmack eingerichtet, daß ich diesen sicheren und lieben Besitz nur sehr ungern aufgebe.

Besonders in Betreff der Sammlungen und des Instituts fürchte ich, in Wien nicht viel vorzufinden und ziemlich von vorn anfangen zu müssen. Wie ich höre, ist das große, kaiserlich Naturalien-Cabinet gänzlich von der Universität getrennt und unabhängig. Ich würde also für den || Unterricht bloß die kleine Universitäts-Sammlung zur Disposition haben.

Ist Ihnen nun diese vielleicht bekannt? Oder glauben Sie, daß es wünschenswerth wäre außera dieser noch eine besondere Sammlung für Unterrichtszwecke einzurichten. Ich habe bis jetzt von der Qualitätb und Quantität der Universitäts-Sammlung noch gar Nichts erfahren können, vermuthe aber, faß sie sehr unbedeutend sein wird. Von niederen Thieren, für die ich mich besonders interessire, und von denen ich jetzt hier in Jena eine sehr stattliche und werthvolle Sammlung zusammen gebracht habe, würde ich in Wien wohl nur sehr wenig vorfinden, und also ziemlich wieder von vorne anfangen müssen.

Ein anderer Übelstand der Wiener Stellung scheint darin zu liegen, daß auch Schmarda noch als ordentlicher Prof. der Zoologie daselbst fungirt. Mancherlei Kollisionen – wie namentlich in Betreff der Sammlungen, || der Examina u.s.w. würden dabei wohl kaum zu vermeiden sein.

Vielleicht sind Ihnen auch diese Verhältnisse näher bekannt und Sie würden mir einen großen Freundschafts-Dienst erweisen, wenn Sie mir Ihre Kenntnisse darüber, sowie überhaupt Ihre ganze Ansicht von der Wiener Professur, gütigst mittheilen wollten. Für mich liegt die Sache so, daß ich schwerlich Aussicht habe, einen größeren und weiteren Wirkungskreis zu erhalten, wenn ich jetzt wieder die Wiener Berufung ablehne, wie ich vor 5 Jahren den Ruf nach Würzburg ausgeschlagen habe. Sie können daher denken, wie schwer mir die Entscheidung fällt, besonders da die Stellungen in Wien und Jena – sowohl bezüglich der Vortheile als der Nachtheile – so diametral entgegengesetzt sind.

Indem ich hoffe, daß Sie mich bald mit einer freundschaftlichen Antwort erfreuen bleibe ich mit den freundlichsten Grüßen

Ihr ergebenster

Haeckel.

a korr. aus: auch; b korr. aus: Qualitäts

 

Letter metadata

Recipient
Dating
05.01.1871
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen
Signature
Bestand: Zool. Mus., Sign.: S II, Haeckel, H., Bl. 15r-16v
ID
41996