Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, Jena, 18. Oktober 1910

Zoologisches Instituta Kloster

Der Universität Jena.

Jena 18. Octbr. 1910.

Lieber Herr Doktor!

Heute erhielt ich zwei Erklärungen des Vorstandes des D. Monistenbundes aus München, welche demnächst an alle Zeitungen gehen sollen und in denen das wunderbare Vorgehen des Herrn Dr. W. Vielhaber in Berlin klar gestellt, auch die Beziehung des M. Bundes zu mir befriedigend erläutert wird. Ebenso sollen auch die seltsamen „Mißverständnisse“ des Herrn Dr. E. Horneffer aufgeklärt werden. Es liegt also jetzt für mich kein Grund mehr vor, in dieser unerfreulichen Angelegenheit mich öffentlich zu äußern. Ich habe gestern und heute noch mit mehreren hiesigen Mitgliedern des D. M. Bundes über die ganze Angelegenheit eingehend gesprochen. ||

Besonders wichtig war mir die Aussprache mit unserem Astronomen Prof. Knopf, einem treuen älteren Schüler von mir und von Prof. Abbe. Er ist der einzige hiesige Kollege, der dem D. M. Bunde beigetreten ist und dessen Tätigkeit mit Interesse verfolgt. Er war auch bei der Hauptversammlung in Dresden im Septb. und stellte mir die dortigen Verhandlungen doch wesentlich anders dar, als es nach den Zeitungs-Berichten schien; das Festhalten an meinen Thesen und die dankbare Anerkennung meiner Tätigkeit für den Monismus sei von der großen Mehrzahl der Versammlung ausdrücklich betont worden und hat auch in dem übersandten Begrüßungs-Telegramm ihren Ausdruck gefunden. Pr. Knopf ist ein sehr ruhiger klarer Kopf und vortrefflicher Charakter, auf dessen Urteil ich viel gebe. || Er riet mir, ebenso wie andere hiesige Mitglieder des M. B., das seit 5 Jahren innegehabte Ehren-Praesidium des M. B. beizubehalten, ohne weitere Verpflichtungen. Nach nochmaliger reiflichster Überlegung muß ich ihren Gründen beipflichten und habe mich entschlossen, die beabsichtigte Niederlegung des Ehren-Praesidiums aufzugeben, und zwar aus folgenden Gründen: Die Niederlegung würde gleichbedeutend mit Sprengung des M. B. sein, an dessen Fortbildung seit 5 Jahren so viel Mühe, Geld und Zeit verwendet worden ist; sie würde einen Triumph unserer Gegner bedeuten, vor Allem des Keplerbundes. Eine unabsehbare Folge von Wirrnissen aller Art, – für mich eine Reihe der widerwärtigsten Anklagen und Beschwerden – würde die Folge sein. ||

Auch Ihrer freundlichen, schon früher geäußerten Absicht, an Stelle des M. B. einen neuen „Ernst-Haeckel-Bund“ zu gründen und Ihre vortreffliche Monatsschrift „Neue Weltanschauung“ als dessen offizielles Organ auszubauen, kann ich aus mehreren gewichtigen (Ihnen teilweise schon bekannten) Gründen meine Zustimmung nicht erteilen. Diese ehrenvolle Anerkennung würde von meinen zahlreichen Gegnern in gehässigster Weise ausgebeutet werden. Fruchtbare active Mitarbeit könnte ich leider ohnehin nicht mehr leisten! Ich bedarf mit meinen 76 Jahren der Ruhe und bin die unerquicklichen Zeitungs-Kämpfe gründlich satt!

Mit wiederholtem herzlichen Danke für Ihre ausdauernde und hingebende Tätigkeit für unsere gute Sache, und mit besten Grüssen

treulichst

Ihr alter Ernst Haeckel.

a gestr.: INSTITUT

 

Letter metadata

Dating
18.10.1910
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
Archiv des Helmholtz-Gymnasiums Bielefeld
ID
41097