Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Marie Eugenie delle Grazie, Paris, 28. August 1900

Paris 28. 8. 1900.

Hochverehrte Freundin!

Ihren freundlichen, schon vor Monaten erhaltenen Brief zu beantworten – ebenso die liebenswürdigen Postkarten von Ihnen und unserem Freund Müllner – war längst mein Wunsch und meine Pflicht. Aber leider war ich außer Stande diese und andere dringende Pflichten zu erfüllen; theils wegen des endlosen Kampfes und Briefwechsels, in welchen mich meine „Welträthsel“ gestürzt haben, theils wegen der zeitraubenden u. dringenden Vorbereitungen zu meiner Java-Reise, von welcher Ihnen beiliegender autographischer Brief berichtet. ||

Mit großer Freude hat mich die Nachricht erfüllt, daß demnächst zwei Ihrer neuen Dramen in Wien zur Aufführung gelangen werden – und mit aufrichtiger Bewunderung Ihrer unermüdlichen dichterischen Schaffenskraft, die schon wieder neuen Aufgaben zugewendet ist. Ich wünsche von Herzen besten u. dauernden Erfolg!

Am 7.7. wohnte ich in Leipzig der ersten Aufführung des Giordano Bruno von Borngräber bei; sie wurde, ebenso wie die dort folgenden Vorstellungen, von dem vollbesetzten (‒ größtentheils akademischen! ‒) Hause sehr warm begrüßt und der junge Dichter mit reichem Beifall belohnt. ||

Trotzdem ist es mir zweifelhaft, ob das gedankenreiche Drama vor einem breiteren Publicum sich auf die Dauer halten wird können; für Viele wird es „zu philosophisch“ bleiben; auch wird die dramatische Technik von vielen Kennern mehrfach getadelt. Ich hoffe aber, daß der talentvolle Dichter (erst 26. Jahr alt) sich fruchtbar entwickeln wird.

Ich selbst bin leider seit einem Jahre – seit Publication der „Welträthsel“, von denen jetzt die V. Aufl. (11. u. 12. Tausend) unverändert erscheint, – zu gar keiner Arbeit gekommen; Krankheit in meiner Familie hat mich auch vielfach gefesselt. || Ich hoffe nun wesentliche Erholung und Auffrischung von meiner 9 monatlichen Tropenreise.

Nachdem ich Jena am 21.8. verlassen, habe ich hier in Paris mehrere liebe Freunde getroffen u. mit ihnen zusammen mehrere Tage dem großartigen Jahrmarkt der „Weltausstellung“ gewidmet. Morgen fahre ich von hier über Basel nach Genua, wo ich mich am 4. September einschiffe u. am 27. in Singapore eintreffe. Meine dauernde Adresse wird sein: „Landsplantentuin, Buitenzorg (Batavia).“

Mit besten Wünschen u. herzlichsten Grüßen an Sie u. Herrn Professor Müllner

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

[Beilage:]

Autographirtes Schreiben

An meine lieben Freunde.

Jena 14. August 1900.

Da ich in wenigen Tagen (am 20.) eine neunmonatliche Reise nach Indien (Java, Sumatra, Celebes, Ambon) antrete, und bei der andauernden Überlastung mit dringenden Arbeiten leider ausser Stande bin, vorher noch alle Briefe zu beantworten, sehe ich mich gezwungen, durch dieses autographirte Schreiben meinen lieben Freunden einen herzlichen Abschiedsgruss zu senden. Ich hoffe dass diese zweite Tropenreise

– meine letzte grössere Reise! –

nicht allein meine vieljährigen „Plankton-Studien“ zum endlichen Abschluss bringen und mir schöne || neue „Kunstformen der Natur“ liefern wird, sondern auch, dass der Naturgenuss von „Insulinde“, dem schönsten Inselreiche der Erde, mir neue Kräfte zum heissen „Kampf um die Welträthsel“ geben wird. Zwar ist mir der Erfolg dieses Buches, von dem innerhalb eines Jahres zehntausend Exemplare verkauft wurden, sehr erfreulich; aber die Beantwortung von mehr als Tausend Briefen, die daraus erfolgte, hat doch meine Kräfte mit 66 Jahren etwas mitgenommen. Da ich leider keinen Versicherungs-Schein auf meine persönliche Unsterblichkeit besitze und an kein „Wiedersehen im Jenseits“ glauben kann, rufe ich meinen lieben Freunden mit herzlichen Grüßen ein „Frohes Wiedersehen im Diesseits“ zu.

Ernst Haeckel.

Adresse: Lands-Plantentuin, Buitenzorg (Batavia, Java).a

a weiter am Rand v. S. 2 d. Beilage: Adresse: ... (Batavia, Java).

 

Letter metadata

Dating
28.08.1900
Place of origin
Country of origin
Destination
Groß-Reifling
Possessing institution
Wienbibliothek, NL Marie Eugenie Delle Grazie
Signature
H.I.N. 90693
ID
40881