Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 12. November 1891

VILLA HAECKEL.

JENA, DEN 12. Novbr 1891.

Lieber hochverehrter Freund!

Nach zweimonatlicher Abwesenheit vor Kurzem hierher zurückgekehrt, erfuhr ich durch eine Zeitungs-Notiz, daß Sie inzwischen Ihren 70sten Geburtstag gefeiert haben. Ich habe sehr bedauert, davon Nichts vorher gewußt zu haben; sonst wären Sie einer feierlichen Gratulation von mir nicht entgangen! Nun hoffe ich, daß Sie auch post festum meinen herzlichsten Glückwunsch noch gern entgegen nehmen. ||

Sie haben durch Ihre unermüdliche redliche Arbeit, Ihre philosophischen Werke, Ihren aufopfernden Patriotismus, so Viel für das Wohl und den Fortschritt des Vaterlands, der Wissenschaft, der Menschheit gethan, daß Sie mit größter Befriedigung auf Ihre 70 Lebensjahre – trotz vieler Leiden und schwerer Verluste – zurückblicken können!

Möge Ihnen der Abend Ihres fruchtreichen Lebens noch manches glückliche Jahr bringen, bei möglichst ungestörter Gesundheit, mit philosophischer Befriedigung, mit Freude an Ihren lieben Kindern! ||

– Wir haben auch ein sehr bewegtes Jahr hinter uns. Meine ältere Tochter wird Ende December ihrem geliebten Dr. Hans Meyer nach Leipzig folgen. Meine Frau ist seit der glücklichen Operation (im Februar) wie neu geboren und sehr munter. Wir denken ernstlich daran, im nächsten Frühjahr die längst beabsichtigte Reise nach Südost (Wien, Triest, Venedig) zu unternehmen, und hoffen dann auch Sie in Marburg auf einige Stunden zu begrüßen. Ich habe so oft den Wunsch, mit Ihnen wieder einmal gründlich plaudern zu können. ||

– Dieses letzte Jahr habe ich ganz der Umarbeitung meiner Anthropogenie (IV. Auflage) gewidmet. Ich wollte auch Ihnen ein Exemplar des kürzlich erschienenen Buches schicken, hatte aber so viele Exemplare an specielle Fachgenossen (Anatomen und Zoologen) zu geben, daß der Vorrath nicht mehr reichte. Da die neuen Verbesserungen und Zusätze nicht die allgemeinen Fragen, sondern nur die besondern Fortschritte der Fachwissenschaften (Vergleichende Anatomie, Ontogenie, Palaeontologie) betreffen, hat es für Sie kein Interesse.

– Hoffentlich treffen diese Zeilen Sie und Ihre Tochter nebst Gemahl in bestem Wohlsein!

Mit herzlichsten Grüßen

Ihr treuer

Ernst Haeckel

Besten Dank für die freundlichen Zusendungen im Sommer!a

a weiter am Rand v. S. 4: Besten Dank … im Sommer!

 

Letter metadata

Dating
12.11.1891
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
Wienbibliothek im Rathaus Wien, Slg. Wilhelm Börner
Signature
H.I.N. 167220
ID
40160