Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Potsdam, 24. September 1882

Potsdam 24. Sept. 82

Lieber und hochverehrter Freund!

Nebst herzlichstem Danke für Ihren lieben freundschaftlichen Brief kann ich Ihnen heute die erfreuliche Mittheilung senden, daß Ihre freundlichen Prophezeihungen in Betreff meiner Eisenacher Rede über „Goethe Darwin Lamarck“ sich in erfreulichster Weise erfüllt haben. Wie Sie vielleicht schon aus den Zeitungen ersehen haben, war die einstündige Rede (der auch das ganze Großherzogliche Haus beiwohnte) von durchschlagendem Erfolge und wurde von lautestem Beifall gekrönt, noch wesentlich gehoben durch die dunkle Folie des Zischens einer kleinen „schwarzen Schaar“. || Wenn ich den Vortrag in weit gehobenerer Stimmung und mit weit besseren Pathos hielt, als jeden früheren, so verdanke ich das wesentlich der Zuversicht, mit welcher Ihr wohlwollendes Urtheil mich von vornherein erfüllt hatte. Ich bin am 20. September mit dem Gefühl von Eisenach abgereist, eine gute That gethan zu haben, deren Folgen vielleicht in weiten Wellenkreisen sich äußern. Ein unbekannter alter Herr, der neben vielen anderen Glückwünschenden unmittelbar nach der Rede mich begrüßte, klopfte mich auf die Schulter mit den Worten: „Herr Professor, das war keine Rede das war eine That!“ ||

Ich theile Ihnen, lieber Freund, meine Freude über diesen Erfolg offen mit, weil ich weiß, daß Sie daran herzlichern Antheil nehmen, als viele Andere, und daß Sie denselben im Interesse unserer guten Sache schätzen. Ich hatte recht das frohe Gefühl, daß unsere offen ausgesprochene Siegesfreude vollkommen berechtigt ist. – Auch der übrige Theil des Eisenacher Congresses (soweit ich ihm beiwohnte) war recht befriedigend. Ich fuhr am 20. von dort direct hierher in meine Vaterstadt, um eine Woche bei meiner lieben 83jährigen Mutter zuzubringen, die mit seltener geistiger Frische an Allem regsten Antheil nimmt. ||

Morgen werde ich hier eine Audienz bei der deutschen Kron-Prinzessin haben und ihr meine Skizzen und Photographien von Ceylon zeigen. Möglicherweise unterstützt dies das Zustandekommen des Ceylon-Werkes. Am 27. kehre ich nach Jena zurück, um dasselbe für lange Zeit nicht mehr zu verlassen. Meine Kisten sind vorgestern dort angekommen und erfordern viel Arbeit. Zu Hause ist Alles wohl. – In blauer Ferne träume ich jetzt schon oft von den schönen Tagen, in denen es mir vergönnt sein wird, das liebe grüne Wildhaus und dessen freundliche Bewohner nochmals zu begrüßen. Letztere, den theuren Schloßherrn und das verehrte Burgfräulein voran, bitte ich herzlichst zu grüßen von Ihrem treuen

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Dating
24.09.1882
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signature
H.I.N. 167202
ID
40121