Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Jena, 21. Juni 1860

Jena 21.6.60.

1000, 1000 Gruß und Kuß, mein liebster, bester, einziger Schatz, aus unserm lieben, herrlichen Jena, in das ich heut Mittag – mit welchen Gefühlen, kannst Du denken – glücklich eingezogen bin. Kaum bin ich 3 Stunden hier und schon muß ich Dir, wenn auch nur mit wenigen Worten, mein übervolles Herz ein wenig ausschütten – liebste Anna, süßeste Frau, unaussprechliches Glück – das sind die 3 Gedanken, die mir immer in den rosigsten Zukunftsfarben vorschweben, und in ihrer Vereinigung den Mittel- und Angelpunkt aller andern Ideen bilden. Und daß sie doch bald, bald volle Wahrheit werden könnten! Du bist ja jetzt das Einzige, wonach ich strebe und Alles Alles andere kann mir genommen werden, wenn ich nur Dich behalte. Nur in Deinem vollen, ungetheilten Besitze darf ich noch hoffen, ein glücklicher Mensch, ja der Glücklichste zu werden. Ohne Dich bin ich nichts und kann nichts werden. Ach, liebste, beste Anna, müssen Dir nicht heut alle Nerven gebebt, alle Sinne geglüht haben? Ich wenigstens war so tief und innig von Dir bewegt, daß ich auf der Fußwanderung von Apolda her Dich jeden Schritt zur süßesten Begleiterin hatte. Jedes grüne Gräschen, jedes bunte Blümchen flüsterte mir Deinen Namen zu, jedes linde Lüftchen, das von den lieben Bergen herabwehte und die heißen Wangen kühlte war Dein lieber Gruß, und aus jedem blauen Himmelsfleckchen, das zwischen den zerrissenen Wolken durch schaute, sah mich Dein liebes, treues Auge inniglich an.

– „O Mädchen, Mädchen, wie lieb ich Dich, wie bin ich glücklich, wie liebst Du mich!“ – Und immer, immer mehr und fester halte ich Dich und lasse Dich nicht los! Ich meine, es könnte noch kein deutsches Mädchen so geliebt worden sein. || Sei nicht bös, liebster Schatz, daß ich dem übervollen Gefühl Ausdruck gab und die Zügel schießen lassen.

Aber ich mußte das überfließende Herz erleichtern. Freilich habe ich, außer der sehr freundlichen Aufnahme bei Gegenbaur, bei dem ich wohne, noch von Nichts zu berichten, was mich zu den eben ausgesprochenen Hoffnungen, die mich ganz erfüllen, berechtigte. Aber mein ganzes Herz wird so von diesen hoffnungsgrünen Zukunftsgedanken bewegt, daß ich fast fest an deren Erfüllung glaube. Nie ist a mir unser liebes Thüringer Land so reizend wie jetzt erschienen und habe ich so wie jetzt das Glück ersehnt, in diesem kleinen, heimlichen Paradies mit meiner bessern Lebenshälfte für immer glücklich sein zu können. Du glaubst nicht, wie reizend sich die Umgebungen des Städtchens selbst, die allerliebsten Promenaden, die es durchziehen, machen; dichte Rosenblüthenmassen, welche die ganzen Straßen mit dem zartesten Duft erfüllen, im frischesten Grün, das, wegen des vielen Regens, in solcher Fülle prangt, daß auch das durch Italiens rothgelbe Landschaft nicht verwöhnte, und nicht nach Grün dürstende Auge sich daran entzücken muß, wieviel mehr das Meinige, das sich gar nicht an dem frischen Grün satt sehen kann, und das in jedem zarten Blättchen einen neuen Bürgen für die endliche Erfüllung seiner süßesten, sehnlichsten Wünsche sucht. Ich bin ein seltsamer Mensch! Aus dem wilden, unruhigen Streben nach dem Unermeßlichen, Idealen, Großartigen und Weiten drohe ich jetzt ins grade Gegentheil umzuschlagen, und in der engsten Beschränkung mein Glück zu suchen, in dem kleinen, stillen, deutschen Professorhaus, wo mein guter, treuer Engel schaltet und waltet, und wo ich in entsagender Selbstbeschränkung, im Besitz des besten Mädchens, das Glück finden kann, das mir auf allen andern Wegen verschlossen und verborgen bleibt.

a gestr.: hat

 

Letter metadata

Genre
Recipient
Dating
21.06.1860
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 38304
ID
38304