Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst und Agnes Haeckel, Potsdam, 4. – 13. Oktober 1884

Potsdam 4/10 84.

Mein Lieber Ernst!

Eine große Freude ist mir durch Deinen lieben Brief geworden, und ich hätte am Liebsten Dir gleich dafür danken mögen; aber leider wird es mit meinem Briefschreiben immer weniger. Vor Allem muß ich Dir Glückwünschen und mit Dir und Agnes mich freuen, daß Ihr lieben Euch jetzt über die Entwickelung Eueres einzigen Sohnes so von Herzen freuen könnt. So ist das Opfer, was seine Eltern durch die Trennung gebracht, doch nicht um sonst gewesen. ||

Montag d. 13ten October.

Diese Zeilen an Dich, mein Herzens Ernst, liegen nun schon so lange unvollendet in meiner Mappe, und wenn ich auch täglich mit meinen Gedanken bei Dir und Deinen Lieben bin, so konnte ich doch nicht zum Schreiben kommen; Kopf und Augen parieren nicht. In den letzten Tagen hatte ich nun auch die Freude von Deiner lieben Frau einen Brief zu bekommen, wofür ich ihr herzlichen Dank sage, und da es ja im Ganzen mit meinem Schreiben nicht viel wird, sollen diese Zeilen an Euch Beide, liebe Kinder, gerichtet werden. Wie || sehr, meine liebe Agnes, erfreut es mich, daß Ihr Euch an der Entwickelung Euerer Kinder freuen könnt. Gott gebe, daß es so ferner fortgehe. Das schönste und reinste Glück ist es doch, wenn unsere Kinder brave nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft werden, wenn sich auch äusserlich ihr Leben anders gestaltet als wir es wünschten und uns dachten.

Oft habe ich rechte Sehnsucht: Dich, Ernst und die Kinder zu sehn, und wenn ich noch länger leben muß, so hoffe ich dann noch auf Erfüllung dieses Wunsches. ||

In Beziehung zu Eueren Kindern ist es mir recht traurig, daß ich ihnen ganz fremd werden muß, denn wenn ich ihnen auch meines Alters wegen nicht mehr schreiben kann, so würde ich doch gerne ab und zu äusserlich ein Zeichen meines Gedenkens geben, aber ich selbst kann nichts besorgen und wenn ich in den letzten Jahren auch Ernst bath es für mich zu thun, so täuschte er mich, und das kann ich nicht leiden. Am wenigsten kann ich mich entschliessen etwas anzuschaffen ohne zu wissen ob es angenehm und zweckmäßig ist. Wilst Du, liebe Agnes mir eine Freude machen, || so besorgst Du mir zu Weihnachten etwas für Deine drei Kinder, ich kann ja selbst es nicht thun; ist es mir doch schon so schmerzlich daß ich Emmchen zu ihrem Geburtstag nicht einmal habe schreiben können: mein Kopf hat es mir aber in den letzten Wochen gar nicht erlaubt. Sage der lieben Emma aber noch nachträglich, daß ich mit Liebe ihrer gedacht und ihr alles Gute von Herzen gewünscht habe. ||

Karl, der gestern in Berlin zur Feier von Liskos 25jähriges Amtsjubiläum an der Neuen Kirche, brachte mir die Nachricht Bertha würde mich heute besuchen, die Freude war aber umsonst, da ich nachdem ich alles besorgt hatte, eine Thelegraphische Depesche als Absage erhielt, da Bertha in der letzten Zeit öfter unwohl war, machte mich das besorgt, doch beruhigte mich heute Nachmittag eine Karte a daß sie durch Besuch von Frau Karbe verhindert sei zu kommen.

Karl, der eben bei mir war, || läßt herzlich grüssen, er wäre tief in der Arbeit. Dem armen Karl mag wohl mancherlei durch die Seele gehn. Durch die viele Kinder treten doch auch viel Anforderungen an ihn heran. In der nächsten Zeit werden Hahns ihre Wohnung beziehen; so gut das gewiß für alle ist, so thut es mir doch leid, das sie so weit ziehen.

Hoffentlich spürst Du noch rechte wohlthätige Folge Deines Badeauffenhalts, und hälst Dich in diesem Winter recht gut.

Doch es geht nicht mehr darum für heute: Gute Nacht: Seid alle aufs || herzlichste gegrüßt von

Euerer

alten Mutter

Lotte Häckel.

Bitte auch Heinrich herzlich zu grüssen.

[Nachschrift von Siegfried Haeckel]

Schoenen Gruss | an Emma und Liesbett. |in Jena.b

S. H.

a gestr.: durch die Karte; b eingef. auf S. 5: Schoenen Gruss … Jena. S. H.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
13.10.1884
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 36988
ID
36988