Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Warmbrunn, 25. – 26. August 1864

Warmbrunn den 25sten

Mein lieber Herzens Ernst!

Dein so sehnlich erwartteter Brief kam endlich heute Abend an. Wohl habe ich es gefürchtet, daß Dir die Reise in vieler Beziehung recht schwer werden würde; denn Du warst ja von allem, was wir erlebt und von der übermässigen Arbeit so sehr kaput; und der Schmerz um den großen Verlust ist noch zu neu und durch die letzten Ereignisse wieder zu sehr erregt. Wir theilen ja Deinen Schmerz mit Dir, unsere Gedanken, unsere Sorge um Dich und unsere Liebe ist immer bei Dir; aber mein lieber Herzens Sohn, laß uns auch standhaft sein, und darnach || ringen, mit Ergebung das zu tragen, was uns auferlegt ist. Vor allem, mein lieber Ernst, muß ich Dich dringend bitten, bekämpfe die so heftigen leidenschaftlichen Ausbrüche des Schmerzes, denke daran wie es Deine liebe Anna betrüben müßte, wenn sie Dich so ohne Fassung sähe. Dann, mein lieber Ernst, versprich es mir auch, und mache nicht zu anstrengende Turen, erhole und kräftige Dich erst; denke wie lieb wir Dich haben; und wie unsere ganze Sorge dahin geht, Dir zu helfen, || daß Du wieder in’s rechte Gleichgewicht kommst. Mir ist es recht schwer, daß ich nicht bei Dir sein kann. Unsern Brief, der Dir sagte wie es uns auf der Reise ergangen, hast Du hoffentlich erhalten: Vater hat gestern das Baden mal ausgesetzt, heute hat er nun das sechste Bad genommen, es scheint ihm eine große Beruhigung zu sein, daß er das Bad verträgt. Im Ganzen ist sein Zustand erträglich; der linke Fuß ist noch immer sehr geschwollen, auf Rath des Doctors reibe ich ihn jetzt Abends mit Wacholderspiritus ein. ||

Wir leben natürlich sehr einförmig und ruhig, Vater ist mit der Wohnung sehr zufrieden; nach Hirschberg sind wir noch nicht gekommen, Lamperts und Schuberts sind aber schon einigemale bei uns gewesen. Wenn das Wetter es eben zuläßt machen wir einen kleinen Spaziergang, gestern war es aber zu windig und heute ließ uns der Regen nicht hinaus, daa ist es gut, daß wir im Badehaus wohnen. Wenn Du nur besseres Wetter in der Schweiz hast. Deine Briefe adressiere nur direckt nach Warmbrunn: im gräflichen Badehause. ||

Gestern hatten wir auch einen Brief von Tante Bertha, die ist nun wieder in Berlin; Sie schreibt uns daß es Tante Gertrude nicht gut ginge; Onkel Julius und Tante Adelheid haben sie in Bonn gesehn und gesagt, sie hustete viel und sei heiser. Nun für heute, gute Nacht, mein lieber Ernst; Vater schläft schon lange; und ich will morgen früh um 5 Uhr baden! –

Den 26sten

Guten Morgen! mein lieber Ernst! daß das erste Wiedersehn der Alpen Dich tief ergreiffen würde, hatte ich mir wohl gedacht; und deshalb glaubte ich auch, es || wäre besser für Dich, wenn Du im Riesengebirge Dich aufhieltes, was ja auch so schön ist; freilich hattest Du ja entschieden den Wunsch in die Schweiz, und wie es ja mit Vater jetzt geworden, so würde es Dich doch immer wieder traurig machen, wenn Du ihnb hier öfter besuchtest. – Ich hoffe nun sehr, daß Du bald besseres Wetter bekommst, dann wird die schöne Natur Deinem Gemüthe wohl thun; ja, mein Ernst, wenn auch jetzt noch der Schmerz so überwiegend ist, so wird doch hoffentlich bald die Zeit kommen, wo Du gerne an allen Orten weilst, wo Du || mit Anna warst, und ihr Bild und ihre Liebe wird Dich umschweben. –

Noch eins, mein lieber Ernst, muß ich Dich bitten: da Du jetzt körperlich angegriffen bist, laß Dir Deinen Tournister immer tragen auf den Wanderungen; ich werde ja gerne zahlen, was für Dich gut ist! – Darin darfst und sollst Du nicht sparen. –

Bei dem bedeckten Himmel nimmt sich das Gebirge oft so mahlerisch aus, daß ich immer denke, wie Du Dich darüber freuen würdest, und viel Stoff zum Zeichnen hättest. Auch könntest Du Deine medicinischen Kenntnisse vermehren, wenn Du die Gespräche || von Vaters Barbier mit anhörtest, der heute Wunderdinge von der Wirkung des Bades erzählte, dabei war mir es ganz neu, daß auch die Nerven zirkulieren, wie er Vater sagte. Lamperts haben wir wohl gefunden, aber in sehr ernster Stimmung, da Fritz genöthigt war, die Verlobung seiner Tochter Toni aufzulösen, der Herr Eu. Rupprecht hat es eben so gemacht wie Herr Burchard mit Bertha, eine schöne Wirthschaft. – Nun leb wohl, lieber Ernst, erfreue bald durch einen Brief

Deine alte Mutter.

a korr. aus: das; b korr. aus: uns

 

Letter metadata

Recipient
Dating
26.08.1864
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 36170
ID
36170