Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 4./5. November 1852

Berlin, 4/11 52.

Mein lieber Herzens Sohn!

Gestern erhielten wir Deinen Brief vom Sonntag, wofür ich Dir herzlich danke, und ich denke es wird immer zwischen uns so bleiben, daß wir uns offen aussprechen, auch dann wenn unsere Ansichten verschieden sind. Daß Dein Brief mich zweifach bewegt hat, kann ich nicht leugnen, erstens weil es Dir noch schwer wird, Dich in dem Alleinsein zu finden, und || dann zweitens hauptsächlich, daß Du so manchen innern Kampf zu bestehn hast; doch nur weiter, mein lieber Ernst, muthig und voll Gottvertrauen gekämpft, ist doch unser Erdenleben ein ewiges Ringen und Kämpfen. Meine Ansicht ist die, daß Du jetzt gar nicht zu entscheiden hast und es auch nicht kannst, welches mal Dein Lebensberuf sein || wird; Du kennst ja die Lebensverhältnisse noch gar nicht, Du hast Dir einmal vorgesetzt Medicin zu studieren, dasa mußt Du jetzt consequent durchführen; alle Kolegien besuchen, die dazu gehören, Dein Examen machen; und dann erst kann es sich entscheiden, ob Du praktischer Arzt wirst oder nicht, jetzt mußt Du Dir denken, Du willst es werden; || sonst kommst Du nicht zur ruhigen Freudigkeit, wenn Du immer hin und her wankst, Du Dich von augenblicklichen Empfindungen und Gefühlen beherrschen und leiten läßt; so wirst Du nie die Karakterstärke erringen. Also nur muhtig dran gegangen. Dasb kannst Du um so mehr, da auch alle Männer vom Fach, wie Weiß, || Lichtenstein, Ehrenberg gesagt haben; auch wenn Du Naturforscher würdest, müßtest Du Medicin studieren. Also mein Herzens Sohn quäle Dich nicht mit Zweifeln und Grübeleien; studiere wacker drauf loos, Dir den Titel zu erwerben, den die Würzburger Dir beilegen; denke dran wie Du mir schon früher gesagt hast: Schwierigkeiten giebt es in jedem Beruf! ||

Von Karl habe ich einen Brief gehabt, den ich Dir mitschicke, damit Du doch auch siehst, daß sie glücklich angekommen sind. Mir ist es schon so lang, daß meine Kinder weg sind, und wenn es Ihnen nur wohl geht, und alles zu ihrem Heile dient. Gott wolle sie beschützen, sein reicher Seegen sei auch mit Dir mein lieber, lieber Ernst. –

Schreibe uns nur ja immer ausführlich, was Du machst und wie Du lebst. – ||

Du hast doch nicht vergessen in Halle das Geld an Weber Hätzer und Finsterbusch zu geben? –

Freitag

Guten Morgen, mein lieber Herzens Sohn! Wie geht Dir es? Schreibe mir doch mal, was Dein Knie macht? –

Noch, mein lieber Ernst, muß ich Dich dringend bitten, nimm nicht zu vielerlei vor und strenge Dich nicht zu sehr an, damit Deine Gesundheit nicht leidet. Gönne Dir auch mit unter || eine Erholung, dann kannst Du auch wieder mit mehr Frische und Lust Deine Studien treiben. Du erhältst hiebei die Bücher welche Georg Quincke Dir besorgt hat. Ist denn beim Glaser hier das Einrahmen der Bilder bezahlt? Ich glaube nicht, die waren ja wohl gekommen, als wir nicht zu Hause waren; schreibe mir doch hierüber, damit ich es in Ordnung bringe. – – ||

Nach Deiner Zeichnung kann ich mir Deine Stube nicht eben sehr reizend denken, am wenigsten gefällt es mir aber, daß sie nach Norden liegt, und daher kalt ist, daß ist besonders im Sommer nicht gut, wenn man aus der warmen Luft in eine eisige Stube kommt. Suche Dir zum Frühjahr lieber eine andre Wohnung mit Sonnenseite und Stube mit besonders Kabinet zum Schlafen. – ||

Nun leb wohl, mein lieber Ernst! Geh mit Muth und Ernst an Dein medicinisches Studium, laß alle Grübeleien über Deinen spätern Lebensberuf, und denke fleissig an

Deine

Dich so innig liebende

Mutter

Grüße Bertheau.

a korr. aus: daß; b korr. aus: Daß

 

Letter metadata

Recipient
Dating
05.11.1852
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 36122
ID
36122