Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 28. März 1895
Potsdam d. 28 Maerz
1895.
Lieber Bruder!
Gestern ist mein Siegfried zur Universität, und zum Dienen fürs Vaterland, abgegangen. Er verläßt nun dauernd das Vaterhaus, um sich allein in der Welt zurechtzufinden. Selbstständig sein: das ist in der letzten Zeit stets sein innerer Drang und sehnlichster Wunsch gewesen. Möge der Himmel ihn behüten und er die rechten Wege zu seiner Entwicklung und Ausbildung seines Charakters gehen.
Es ist mir ein Trost, daß er || in Jena Dein Haus und den Bruder Heinrich findet und mit soliden Schulfreunden dort zusammen sein wird. Ich halte solche Verhältnisse für einen passenden Uebergang von der Schule in das öffentliche Leben. Ich wünsche deshalb auch, daß er, selbst wenn er nicht zum Eintritt ins Militär jetzt gelangt, sondern zurückgestellt wird, dort die ersten Semester zubringt. Er soll daher, wenn er die Entscheidung vom Bataillon am 1 April erhält, jedenfalls sich die Wohnung miethen.
Hoffentlich sucht er sich solide || Wirthsleute aus und greift nicht zu rasch zu, um die Sache nur abzumachen.
Hier ist es nun seit gestern Nachmittag recht einsam in der großen Wohnung und wird es noch mehr werden, wenn wir von Ersten ab nur noch Ein Mädchen halten. Frl. Kniebe war einige Tage in Minden, ihren Vater zu besuchen, der vor einigen Wochen einen ernstlichen Schlaganfall gehabt hat. Hahn war heute Mittag bei mir mit dem Jungen, einem famosen Bengel.
Tante Bertha geht es gut. Mulder’s wollen im Sommer nach dem Harz oder Thüringer Wald, um leichter zu ihr nach Berlin zu kommen, wenn || sie selbst sich nicht entschließt, dorthin zu kommen. –
Nun lege ich Dir und Deiner Frau meinen Siegfried ans Herz, daß er ihm mit Rath zur Seite steht.
Mit herzlichem Gruß
Dein
treuer Bruder Karl.
NB Zum 1 April wird sich wieder ein Kassenbestand von ca. 1500 Mk für Dich sammeln. Was soll damit geschehen? –