Ernst Haeckel an Carl Theodor Ernst von Siebold, Jena, 30. Oktober 1873
Jena 30. October 73
Hochverehrter Freund und College!
Gleich nach Empfang Deines Briefes bin ich zu Zeiss gegangen und habe das von Dir gewünschte Mikroskop bestellt. Er wird es Dir in 10–14 Tagen spätestens zu senden. Du wirst hoffentlich sehr zufrieden sein.
Alle Arbeit von Zeiss ist sehr solid und die Linsen ausgezeichnet. Die von Dir bestellte Combination hat nur die Objective C und F. Ich würde Dir aber sehr rathen, statt C lieber ein ganz schwaches (A) und ein mittleres D zu nehmen; letzteres bietet die gewöhnlich am meisten benutzte Vergrößung von circa 300; A ist fast unentbehrlich. || Ich habe Zeiss beauftragt, Dir diese Linsen zur Ansicht beizulegen. Du kannst sie nach Belieben zurückschicken oder behalten. F ist eins der besten Trocken-Systeme, die überhaupt existiren.
Für Deine freundliche Zusendung des Aufsatzes über Artemia, deren Parthogenesis mich sehr interessirt hat, denke ich bestens.
Ich habe mich im letzten Sommer sehr Viel mit Infusorien, besonders mit Entwickelungsgeschichte derselben beschäftigt, angeregt theils durch die neueren Streitigkeiten über ihre Einzelligkeit (Greeff – Ehlers) theils durch meine Spongien-Studien. || Es wird Dich, denke ich, freuen, daß ich ganz und gar zu Deiner 1845 zuerst aufgestellten Einzelligkeits-Theorie zurückgekehrt bin und dieselbe definitiv beweisen zu können glaube. Der Aufsatz ist bereits gedruckt in unserer Jenaischen Zeitschrift und Du wirst ihn in den nächsten Wochen erhalten.
Durch Gegenbaurs Wegzug hat Jena sehr Viel verloren, und ich selbst am Meisten. Dennoch konnte ich ihm nicht zureden, hier zu bleiben, da er bereits a 48 Jahre alt ist und wir Beide uns darüber schon oft unterhalten hatten, daß es, trotz aller Vorzüge von Jena, doch nicht gut sei, hier das ganze Leben zu bleiben. || Vorläufig bleibe ich übrigens sehr gerne noch eine Reihe von Jahren hier. Mein Institut und meine Sammlungen sind jetzt so vortrefflich, d. h. so ganz nach meinem Geschmack eingerichtet, daß ich an jedem andern Orte mehrere Jahre nöthig haben würde, um mir Alles wieder so einzurichten. Auch ist die idyllische landschaftliche Umgebung, die ländliche Ruhe und Stille, die man hier genießt, für Jemanden, der gern ungestört arbeitet, unvergleichlich.
Deiner verehrten Frau Gemahlin bitte ich mich bestens zu empfehlen und ihr das einliegende Bild meiner kleinen Lisbeth zu verehren, die ich kürzlich habe photographiren lassen.
Mit den freundlichsten Grüßen Dein treu ergebener
Haeckel
a gestr.: das