Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an August Weismann, Jena, 4. Juni 1866

Jena 4. Juni 66.

Lieber Freund!

Gewiß haben Sie mir mein langes Schweigen nicht als Theilnahmlosigkeit an Ihrem Glück gedeutet. Sie wissen, daß ich selbst das höchste Glück des menschlichen Lebens, den Besitz eines theuren Weibes, der „besseren Lebenshälfte“ – im reichsten Maaße, leider nur zu kurze Zeit, genossen, und können daher denken, mit welcher wehmüthigen Freude mich die Nachricht von Ihrer Verlobung erfüllte. Daß ich Ihnen nicht eher geschrieben und meinen innigsten Glückwunsch gesandt, liegt an der übermäßigen Arbeitsüberhäufung an der ich seit einem halben Jahre laborire, und deren Früchte ich Ihnen im nächsten Monate übersenden zu können hoffe. Ich ersuche Sie im Voraus, die Arbeit, die sicher viel mehr Gegner, als Freunde finden wird, freundlich aufzunehmen, und meine Ideen dann nach Kräften zu unterstützen. ||

Daß es mit Ihren Augen wieder besser geht, schließe ich aus Ihrer schönen Corethra- Entwickelung. – Lassen Sie mich doch womöglich bald Etwas von Ihnen hören, und von Ihrem schönen Glück. Haben Sie es in „Genua“ gefunden?

Meine Absichten, im nächsten Herbste (eventuell den ganzen Winter) an das Mittelmeer zu gehen, habe ich trotz der trostlosen politischen Aussichten immer noch nicht aufgegeben, und hoffe immer noch, daß ich dabei Ihrer Gesellschaft mich werde erfreuen können. Im nächsten Monat muß die unerträgliche Situation doch endlich entschieden werden. Hoffentlich bleibt unserm unglücklichen Volke, dem es überall an Willen, Thatkraft und Initiative fehlt, noch die schlimmste Schmach erspart. ||

Daß die Würzburger Professur jetzt gar nicht besetzt wird, haben Sie wohl bereits gehört. Semper, der Manilla-Reisende, hat sich dort als Docent für Zoologie habilitirt, in der Aussicht künftig die Professur zu erhalten, und hiermit wird man sich doch wohl vorläufig begnügen.

Wie geht es Ihnen mit den Vorlesungen? Hier bin ich jetzt recht zufrieden, obwohl natürlich das wachsende Kriegsgetümmel, das gerade unser friedliches Thüringen vielleicht besonders verheeren wird, viel Störung bringt. Ihre südwestliche Ecke dort unten wird viel stiller sein.

Beifolgend schicke ich Ihnen eine Mittheilung über eine fossile Rhizostomide.

An De Bary herzlichen Gruß. Ihrer lieben Braut unbekannter Weise einen ehrerbietigstena Gruß und Glückwunsch.

Sein Sie meiner herzlichsten Theilnahme an Ihrem Glück versichert und möge es Ihnen recht schön erblühn und erhalten bleiben.

Mit besten Grüßen Ihr treu ergebener

Haeckel.

a korr. aus: herzlichsten

 

Letter metadata

Recipient
Dating
04.06.1866
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., Autographensammlung
Signature
Autographen-Nr. 1076
ID
32504