Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Rudolf Peters, Jena, 26. September 1887

Brief.

Herrn Dr. Rudolf Peters

Pfarrer in Geesthacht

bei Altona Holstein.

Jena 26 Sept. 87

Lieber Herr Doctor!

In der stillen Ferien-Zeit (für mich die beste Arbeitszeit – ) finde ich heute eine freie Stunde zum Plaudern, und will nun nicht länger säumen, Ihnen für Ihren lieben Brief vom 23. Juli zu danken; und nicht minder für die drei hübschen stimmungsvollen Gedichte, welche mir und meiner Frau sehr gefallen haben. Dass es Ihnen und Ihrer lieben Familie gut geht, freut mich sehr; ich kann Ihnen von uns das gleiche melden. Kürzlich habe ich das große Werk über die Challenger-Radiolarien vollendet, an dem ich ein volles Decennium gearbeitet habe: eine neue Welt zierlicher Lebensformen der Tiefsee, 3500 neue Arten! Das Buch (in drei starken Bänden) wiegt 30 Pfund (!) und ist von 140 Tafeln begleitet (sehr gewichtig!!). Die Entwickelungslehre macht trotz Virchow, Vogt, Stinde etc. solche Fortschritte, dass sie keiner Verteidigung mehr bedarf. Es kömmt jetzt darauf an, sie gehörig zu verwerthen, und es ist sehr erfreulich, dass sehr Viel dafür geschieht. Auch meine Keimblätter-Lehre (Gastraea-Theorie) ist jetzt allgemein anerkannt. –

In den Oster-Ferien habe ich eine interessante wissenschaftliche Reise in den Orient gemacht (Palaestina, Syrien, Rhodos, Smyrna). In Jerusalem (dem widerlichsten Schmutz-Nest des Orients) erlebte ich eine Prügelei zwischen römischen und griechischen Mönchen ( – am heiligen Grabe selbst! -) die mir keinen hohen Begriff von dieser Species Christentum beibrachte. Ueberhaupt kann man im Orient alle Varietäten des orthodoxen Fanatismus studiren!

Mit freundlichsten Grüssen und wiederholtem Dank

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Recipient
Dating
26.09.1887
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
Unbekannt
ID
31951