Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 9. Dezember 1911

Jena 9.12.1911.

Liebe Freundin!

Durch Ihre herrliche Ananas (– welche diesmal besonders saftig und aromatisch ist –) haben Sie mich sehr erfreut und ich danke Ihnen herzlich für diese tropische (– mich stets an Ceylon und Insulinde erinnernde –) Ergötzung meiner Zunge und Gastrula! Ich möchte Sie aber doch wiederholt bitten, solche schöne (– Ihre jetzige Finanzlage zu sehr belastenden! –) Luxus-Ausgaben zu vermindern; zumal ich leider nicht in der Lage bin, mich durch irgendeine literarische oder kulinarische Gegengabe dankbar zu erweisen. Meine Feder scheint durch den unglücklichen Fall vor 8Monaten ebenso betroffen zu sein, wie das arme Hüftgelenk, und sich nicht wieder erholen zu können. ||

Die Folgen meiner 4wöchentlichen Kur in Baden-Baden haben bisher mein beschränktes Geh-Vermögen (auf 2Stöcken) nur wenig gebessert; wohl aber das Allgemeinbefinden (Schlaf u. Appetit). Seit 1. November mache ich täglich (wenn das Wetter es erlaubt) meine kleine Exkursion (12–1 Mittags) an die bekannte schöne Paradies-Ecke (am Saale-Knie) und erfreue mich dort, auf der Bank unter den Bäumen sitzend, an dem herrlichen Blick auf die liebe Saale, die Wöllnitzer Wieße und die Kernberge, mit ihrer Horizontale; da wachen denn die Erinnerungen an bessere frühere Zeiten auf, und auch an die schönen Spaziergänge, die wir im Sommer in diesem Naturpark zusammen genossen haben. ||

Sehr freut es mich, aus Ihrem lieben Briefe zu ersehen, daß Sie, als echte Naturfreundin, monistische Philosophin, kundige Naturforscherin und treue „Haeckelianerin“, mit Ihrer ländlichen Wohnung in der „Alsterburg“ dauernd zufrieden sind, und die vielfachen Naturgenüsse auskosten, welche sie darbietet: idyllisches Tier- und Pflanzen-Leben, Landschafts- und Himmels-Schönheit. Ich hoffe, daß Ihnen dieser beste Trost im mangelhaften Erdenleben, die echte Goethe’sche Freude an der „Gott-Natur“ stetig erhalten bleibt, ebenso wie mir. Seit 6Wochen habe ich wieder meine alte Liebhaberei, das Aquarell-Malen begonnen, und ergötze mich täglich an der Reparatur und Ausmalung der zahlreichen flüchtigen Landschafts-Skizzen, welche ich von meinen Reisen mitgebracht habe (– wertvoller als jedes „Tagebuch“! –). || Weihnachten werde ich, da ich nicht mehr reisen kann, still hier in meiner Medusen-Villa verleben. Nach dem Feste erwarten wir Besuch von unseren Kindern aus Leipzig; mein Schwiegersohn Hans Meyer ist von seiner 6monatlichen Reise in Central-Ost-Africa vor 8Tagen wohlbehalten und sehr befriedigt zurückgekehrt.

Mit herzlichen Grüßen – und besten Wünschen für Weihnacht und Neujahr –

treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
09.12.1911
Place of origin
Country of origin
Destination
Wellingsbüttel
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 31698
ID
31698