Keller, Conrad

Conrad Keller an Ernst Haeckel, Oberstrass bei Zürich, 20. Dezember 1874

Hochverehrter Herr Professor!

Sie erhalten beiliegend 3Präparate, darunter 2microscopische. Das Object stammt aus dem Mittelmeer, aus der Gegend von Algier. Der Gegenstand ist sehr zierlich, aber ich weiß rein nicht, was ich aus ihm machen soll, ebensowenig Herr Prof. Cramer, College von Herrn Prof- Strassburger. Hätten sie gelegentlich die Güte, mir darüber Aufschluß zu geben? Das dritte Präparat photographischer Natur bitte ich gütigst aufnehmen zu wollen.

Ihre durch Herrn Dr. v.Koch übersandten Glückwünsche habe mich sehr gefreut u. danke ich Ihnen herzlich dafür.

Ich studire Ihre „Kalkschwämme“ gegenwärtig durch, ich bin außerordentlich gefesselt durch diese wunderbare Monographie u. verstehe sie erst jetzt ganz, seit ich Sie selbst zu hören das Glück hatte.a Oft mache ich mir Vorwürfe, ich hätte bei Ihnen noch mehr arbeiten sollen. Nun erbaue ich mich an Meyers menschlicher Anatomie, welche ziemlich ledern ist u. arbeite im Secirsaal. Nebenbei beschäftige ich mich mit Geologie. Mit den Vorlesungen beginne ich erst im nächsten Frühjahr. ||

Immerhin glauben Sie mir gern, daß es eine gewisse Begeisterung u. Muth braucht, um neben Frey aufzutreten. Es wird in Zukunft noch diversen Scandal absetzen.

Es b sind wieder manche heitere Dinge zum Vorschein gekommen. Dennoch werde ich hier stets entschieden u. mit offenem Visir auftreten gegenüber einer oft ins Aschgraue gehenden Heuchelei u. Characterlosigkeit. Daß Frey bei den Medicinern namentlich die philosophischen Bestrebungen der Jenenser Richtung als den Anfang einer naturphilosophischen Verderbniß zu discreditiren sucht u. vom hohen Roß herab sich darüber lustig macht, gelegentlich auch mit Thatsachenfälschung um sich wirft, verursacht mir etwelche Erheiterung. Man merkt die Absicht! Gelegentlich habe ich ihm dafür heimgeleuchtet.

Wahrhaft kostbar war sein Benehmen im Facultätszimmer unmittelbar vor meiner öffentlichen Vorlesung. Indem ich bei diesem offiziellen Acte Rector, Decan u. die Facultätsmitglieder zu begrüßen hatte, wollte ich anstandshalber bei Frey, der als Begutachter zugezogen wurde; keine Ausnahme machen, obschon wir uns vorher schon nicht mehr grüßten. Allein er wandte sich || mit der ihm eigenen Unverschämtheit von mir ab, stellte sich aber gleich darauf mir dicht vor die Nase, indem er mir seine hintere Façade zukehrte! Ich ärgere mich nicht mehr über so was, sondern fasse die Sache von der heiteren Seite. Ich habe ihm diese offizielle Flegelei sofort heimgezahlt, indem er vom Kathedter herab verschiedene Dinge zu hören bekam, die ihn nahe genug angingen. Einmal sollen ihn die zahlreich anwesenden Zuhörer auch ziemlich scharf fixirt haben. Das wirkte u. Frey hat sich in der Facultät sehr günstig ausgesprochen u. namentlich auch die durchaus „gewählte“ Form (allerdings war sie für diesen Anlaß gewählt!) hervorgehoben! Inoffiziell hätte er mich freilich am liebsten in die Limmat geworfen.

Es sind das allerdings Situationen, die nicht jedermann zusagen. Ich werde noch manchmal, wo es Muth braucht nach Jena hinübersehen u. in Ihnen das begeisternde, wenn auch unerreichbare Vorbild nehmen. Die Situation wird mir immerhin wesentlich erleichtert, indem sowohl die Behörden, als die hiesige Professorenschaft mich durch zuvorkommende Unterstützung ermuntert. So hat mir Prof. Cramer sein glänzendes botanisches Laboratorium für meine Zwecke zur Disposition gestellt. ||

Ebenso weiß ich jetzt schon, daß die Studentenschaft, einige Piusvereinler ausgenommen, mir gewogen ist. Und wenn ich durch massenhafte Zeichnungen u. Präparate, die ich anfertige u. durch möglichst vollendete Rhetorik hier nicht rasch durchschlage, so soll die Schuld nicht an mir liegen.

Zum Schluß bitte ich Sie, meine herzlichsten Grüße entgegenzunehmen u. damit verbleibe ich verehrungsvollst

Ihr ergebener

Conr.Keller

Oberstrass, (Zürich) d. 20. Dec. 74.

bei der Post

P.S. Nächstens soll von einem Zürcher Botaniker, Dr.Dodel eine neue Schöpfungsgeschichte erscheinen; man ist über diese Naivität hier allgemein erstaunt.

a am linken Rand mit Ausrufezeichen hervorgehoben: verstehe sie … Glück hatte.; b gestr.: sch

 

Letter metadata

Recipient
Dating
20.12.1874
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 31260
ID
31260