Keferstein, Wilhelm

Wilhelm Keferstein an Ernst Haeckel, Göttingen, 28. Juni 1861

Göttingen 1861 Juni 28.

Mein lieber Häckel

recht vielen und herzlichen Dank für Ihren lieben Brief vom 10. d. M. Wie viel und gern wir an Sie gedacht haben seit wir in Messina auseinander gingen brauche ich Ihnen nicht zu sagen; auch gescholten haben wir zuweilen da wir garkeine Nachricht von Ihnen hatten und uns immer einbildeten Sie könnten uns mal schreiben.

Seit Ende Mai ist Ehlers in München, und bei Siebold sehr wohl aufgenommen. Im September kommt er wieder um die Prosectur hier anzutreten. Ich habe ihm bereits von Ihrem lieben Brief mit dem italiänischen Vers geschrieben.

Ich hätte Ihnen schon früher geantwortet, wenn ich nicht erst über meine Reise Gewißheit haben wollte. Die Winterreise nach Messina habe ich nach lan-||gem Überlegen aufgegeben, da es wenig angemessen schien, eben erst angestellt, ein ganzes Semester wieder zu schwänzen. Wie sehr ich diese Vernunft bedaure, ach Sie werden es ermessen! Nun kann ich auch mit Ihren sogar mitgenommenen Pflanzen nichts machen. Vielleicht aber reisen Herr von Waltershausen (auf die Ferien)a oder vielleicht des Arts nach Messina etc: sowie ich etwas ganz Gewißes erfahre werde ich Ihnen schreiben. – Ich muss mich mit einer kleinen Reise etwa von Anfang August bis Anfang November begnügen. Vielleicht gehe ich über Holland Belgien, Paris (wegen der Museen) an einen französischen Küstenpunct: St Malo, Dieppe, la Rochelle – vielleicht auch dann nach Nizza. Bitte schreiben Sie mir über Ihre Erfahrungen von Nizza und bitte von Paris (wo gewohnt, was gesehen, wen mit Erfolg besucht, ob Empfehlungen viel helfen etc etc). Gegenbaur weiß vielleicht etwas von jener französischen Küste, bitte consultiren Sie ihn. – Das Curatorium be-||zahlt natürlich die Reise, da ich wie Sie wissen nichts besitze.

Ostern denke ich zu heirathen; wir werden uns sehr einschränken müssen da 600 rℓ hier nur sehr wenig sind.

Vorigen Herbst sahen wir mehrere Messinaer Freunde: Herrn Sarauw ganz zufällig in Kopenhagen, Herrn Peters und Frau in Hamburg und hatten darauf in Cassel noch ein recht nettes Zusammentreffen mit der Familie Sarauw. Von Herrn Peters hatten wir mehrere sehr freundliche Briefe und sind so und durch Waltershausen Correspondenzen bisher noch mit Messina in Verkehr geblieben. Dass Binz in diesem Monat in England ein reiches Frl. Schwabe heirathet, wissen Sie, ebenso schreibe ich über Rom nichts; einmal da ich nicht weiß wen Sie dort kennen und dann da Sie [von] Erdmannsdörfer, den ich vielmals zu grüßen bitte, auch Nachrichten daher haben.

Von Allmers hatte ich vor Wochen einen Brief; alle Einladungen nach Göttingen halfen nichts; ist es auch so mit Ihnen || oder darf man hoffen dass Sie einer recht herzlichen Einladung einmal folgen?!

Dass es Ihnen in Jena gut gefällt freut mich sehr: dass das Leben dort angenehm ist hört man von allen Seiten und an Gegenbaur haben Sie sicher einen wahren Schatz.

Mir geht es natürlich gut, ich habe hier äußerst viel Glück gehabt. Über viele Zuhörer kann ich mich allerdings nicht freuen, da meine Vergleichende Anatomie nur 7 belegt haben. Hier sind meine Fächer eben aus der Mode gekommen; sie müssen es erst wieder werden. Dies Semester bin ich etwas abgehetzt: von 8–12 zootomisches Praktikum mit 5 Studenten, von 2–3 Vergleichende Anatomie und von 4–5 (einmal) zoologische Demonstrationen publice vor Vielen. So habe ich nichts Selbständiges machen können: Zoologie gelernt (Vögel, Fische, Säugethiere) und Hefte gemacht und etwas für die Gelehrten Anzeigen geschrieben (jetzt bin ich z. B. bei Vol. III von Agassiz Contributions – Acalephs – u. hoffe bald Haeckel Radiolarien unter die Feder zu bekommen). – Bitte liebster Freund schreiben Sie mir bald wieder u. lassen uns überhaupt in Verkehr bleiben. Leben Sie recht wohl und behalten Sie lieb

Ihren W. Keferstein.b

Von Bartels hatte ich einen Brief voll des unsinnigsten Weltschmerzes: übrigens schreibt er dass er (trotzdem) seine Schulden abgetragen habe. Hören Sie nichts von Hering: aus Leipzig schreibt man er sei dort Arzt. In den Freien kommt Victor Carus hierherc zu seinem Schwager Hasse; ich werde ihn ja aber nicht sehen.d

a eingef.: auf die (Ferien); b Text weiter am linken Rand von S. 4 : überhaupt … Keferstein.; c Text weiter am linken Rand von S. 3: Von … hierher; d Text weiter am linken Rand von S. 3: zu … sehen.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
28.06.1861
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 29792
ID
29792