Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 13. Juli 1905

Triest, am 13. Juli 1905

Verehrtester Freund!

Noch ehe ich Ihnen so wie ich mochte meinen vollen Dank für Ihre Lebenswunder aussprechen konnte, geht mir die Broschure mit Ihren Berliner Vorträgen zu & diesmal kann ich mit allem Verständniß dafür danken, weil ich sie schon gelesen habe & zwar mit dem größten Genuße & mit all der Freude an dem Gegenstand und dem jugendfrischen Ton Ihrer Darstellung. Es hatte mich schon die Polemik Escherich-Wasmann in der Beilage der Allgemeinen Zeitung über das letzte Buch lebhaft intressirt und ich dachte mir, daß das doch sehr merkwürdige Sichbekennen zum Darwinismus seitens || eines Jesuiten & noch mehr sein Verbleiben in dem Orden Sie zum Sprechen bringen werde. Nun, daß der Mann noch Vorbehalte macht und die Seele uns einblasen läßt, ist ja begreiflich; es hindern ihn vielleicht äußere Umstände ganz mit seinem Stande zu brechen, dran glauben thut er gewiß nicht. Auch die Ecclisia (wie natura) non facit saltum; vollständig also mochte er nicht zur Einsicht kommen, aber der Wandel ist doch schon enorm in dem was ein Geistlicher schreiben darf, ohne verbrannt zu werden. –

Ich war im Juni geschäftlich in Berlin & spürte noch etwas von dem Eindruck, den Sie gemacht. Wenn ich nicht geschäftlich so sehr in Anspruch genommen gewesen wäre, hätte ich Ihnen in Jena eine kurze Visite gemacht, leider sollte es nicht möglich sein, da ich immer noch eine Unmenge Geschäfte auf mir habe. Man kann sich aus || vielen Dingen so rasch nicht herausziehen. Nun mache ich mich aber doch für einige Wochen frei & gehe mit meiner Frau nach Norwegen. Auf der Rückreise werde ich anfragen, ob Sie zu Hause sind. Wie hoch würde ich es schätzen, Sie wieder einmal sehen & sprechen zu können.

Valentine kann die Reise leider nicht mitmachen. Unsre Mutter ist zwar wohlauf, aber sie wagt es doch nicht in mehr als 24 Stunden Entfernungen zu gehen. Sie will nach Tirol gehen & sich dort, ausruhend, von der hiesigen Sommerhitze erholen. Wir sind alle guter Dinge & vom ganzen Hause bringe ich Ihnen die wärmsten Grüße. Wie oft sprechen wir von Ihnen & Ihrem großen Wirken. Die Lebenswunder sind mir eine geradezu monumentale Zusammenfassung Ihres Lebenswerkes, für das uns die größte Bewunderung erfüllt, die einem das Widersprechen in || manchen Consequenzen, die gezogen sind, erschweren würde, wenn man Competenz & Anlaß hätte sich darüber auszusprechen. Ich bin glücklich, überhaupt Ihnen zu schreiben & die Hoffnung zu haben, Sie, hochverehrter Freund, vielleicht wiedersehen zu können.

Heute wird hier Brettauer zu Grabe gebracht, der Ihnen auch ein warmer, treuer Freund war, mit dem ich oft von Ihnen sprach. Er hatte sich vor ½ Jahr von seiner Stelle als Primarius zurückgezogen um seinen Liebhabereien zu leben, aber eine Lungenentzündung hat den Siebziger in wenigen Tagen hinweggerafft. Ich dachte die Mittheilung würde Sie interessiren. –

Nun zum Schluße die Bitte um Erhaltung Ihrer Freundschaft, die mir eine große Freude ist und mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen für Ihr & Ihrer verehrten Frau Gemahlin Wohlbefinden

Ihr treuergebener

Gust. Krauseneck

 

Letter metadata

Recipient
Dating
13.07.1905
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 27807
ID
27807