Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 1. August 1898

Triest, am 1. August 1898.

Hochverehrter Freund!

Ich habe lange nicht geschrieben, so warm auch mein Herz immer in Verehrung & Freundschaft für Sie schlägt; heute ist es mir ein besonderes Bedürfnis, Ihnen die Hand zu reichen und im Geiste wenigstens Ihre Trauer zu theilen um den Verlust des Gewaltigen, der nun auch für immer verstummen mußte. Bismarck todt!

Wer deutsch redet und dieses Ereigniß nicht persönlich als ein schweres Unglück empfindet, ist eigentlich ein miserables Subject – das ist meine Gesinnung! Sie haben einen der ehrenvollsten Momente der häßlichen Zeit seiner Verbannung mit ihm gelebt und daß Ihnen das nun die vielleicht theuerste Erinnerung sein werde, kann ich mir denken. Aber ebenso, daß Ihnen auch angst & bange wird bei || dem Gedanken, daß unsere mit jedem Tag flacher, eitler und gesinnungsloser werdende Nation nun die seltenen Mahnungen von dieser – doch auch dem Allerdümmsten Respekt einflößenden – Seite nicht mehr hören wird. Oder wird sich der Vermittler seiner Gedanken und der Massen finden, um die politischen Kritiker ebenso wie jene Goethes nach seinem Tode sehr bald einfach lächerlich werden lassen? Jedenfalls wird was er geschaffen bleiben; ob blühend oder mühsam ist Sache der heutigen Generation & jedenfalls geht, was er zu Tode getroffen: das Franzosenthum und das Habsburgerthum sichtlich abwärts. Unser Staat wenigstens liegt eigentlich im Verenden. Der Körper muß & wird ja fortleben, aber als loose Masse; der Organismus funktionirt nicht mehr und es läßt sich gar nicht absehen, was aus der unvermeidlichen Itio in partes positiv werden soll. –

Aber ich möchte auch persönliches von Ihnen wißen, wie es Ihnen geht, ob Sie wieder || die rechte Freude genießen an dem Zurückschauen auf Ihr herrliches Leben und sich mit großen Plänen tragen? Ihre letzten Nachrichten waren nicht, wie wir sie gewünscht hatten und das empfanden wir sehr schmerzlich. –

Wohin führt Sie der Sommer? Wenn Tirol auf dem Programm steht, so vergessen Sie nicht auch uns. Klobenstein bei Bozen ist immer die sommerliche Generaladresse der Krausenecks. Meine Mutter ist mit Valentine schon dort mit den Kopf’schen Damen. Meine Frau & ich sind noch hier, wollen aber Mitte August auch dorthin & von da in die Ortlergegenden. Meine Frau war im Frühjahr mit ihrem Vater 2 Monate in Spanien, hat viel gesehen & viel herrliche Erinnerungen mitgebracht. Leider war mir’s versagt, die Reise mitzumachen; nur an dem Nachtisch in der Schweiz habe ich mitgenossen. Ich kann doch nur immer auf kurze Zeit || abkommen, die meiste gehört dem immer unerquicklicher werdenden Berufsleben, denn wer diese ekelhaften Quälereien nicht kennt, macht sich keine Vorstellung von der beruflichen Existenz in einem vielsprachigen Theile Oesterreichs.

Ich bitte Sie, hochverehrter Freund, von meiner Frau & mir auch Ihrer Frau Gemahlin herzlichste zu sagen & mit den besten Wünschen für Sie & Ihr ganzes Haus bitte ich Sie Ihre guten Gesinnungen zu bewahren

Ihrem Sie so sehr verehrenden

G. Krauseneck

 

Letter metadata

Recipient
Dating
01.08.1898
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 27796
ID
27796