Ernst Mach an Ernst Haeckel, Wien, 5. Oktober 1905
Hochgeehrter Herr College!
Für Ihr grosses und schönes Geschenk danke ich Ihnen herzlich. Beide Bücher, besonders aber das neue, welches ich noch nicht kannte, bieten mir des Interessanten und Belehrenden sehr viel. Insbesondere danke ich Ihnen für Ihren Hinweis in Bezug auf Ihre Behandlung der Empfindungen. Die Berührungspunkte unserer Anschauungen sind vielfach, die Differenzen eigentlich nur methodologisch. Es scheint mir, dass meine Darstellungen in der Mechanik und in der Wärmelehre Ihnen und auch Ostwald mehr zusagen dürftena, als jene in der Analyse und in Erkenntnis und Irrtum, welche beiden letzteren mehr für Psychologen berechnet sind. Recht gefreut habe ich mich auch über Verworns „Naturwissenschaft und Weltanschauung“, obgleich ichb mit dem Psychomonismus, bei dem er landet, nur angefangen habe.x) Es gibt eben da so viel Nuancen als Individuen. Die künftige Generation mag zusehen, was sie von der reichen Auswahl behalten und sich dauernd aneignen kann. Jedenfalls wäre es eine Verkehrtheit jetzt um kleine Differenzen zu streiten, wo in wichtigen Dingen Uebereinstimmung besteht. Ihre Bücher aber, gerade soweit sie sich an das grosse Publicum wenden, werden einmal c kulturhistorische Urkunden unserer Zeit sein. Man wird es einmal schwer verstehen, wie in einer Zeit solcher Aufklärungen die rückständigen Ansichten d, gegen die Sie sich wenden, überhaupt noch Vertreter finden konnten.
Die „Mneme“ kenne ich, und habe von dem Buch Gebrauch gemacht, soweit dies einem Nichtbiologen zusteht.
Nochmals herzlich dankend
in aufrichtiger Verehrung
Ihr ergebenster
Dr. Ernst Mach
Wien 5/X1905
x) Die Hauptsache ist die Abschaffung der unnöthigen doppelten Existenz. Wie man die übrige bleibende nennt, darauf kommt wenig an.
a handschriftl. ergänzt aus: dürfte; b handschriftl. ergänzt aus: in; c gestr.: his; d gestr.: noch