Richthofen, Ferdinand Freiherr von

Ferdinand von Richthofen an Ernst Haeckel, Berlin, 14. Februar 1856

Berlin d 14.t Febr. 1856.

Mein lieber guter Ernst!

Für wie treulos, nachläßig und pflichtvergessen mußt Du Freund Richthoffen halten, daß er das Stillschweigen, das er mit kühner Hand brach, wieder hergestellt hat und so lange darin verharrt ist. In der That war dies eine schlechte Erwiderung auf Deine schnelle und pünktliche Antwort und hätte ich nicht die Genugthuung, a der Veranlasser Deines Briefes zu sein, so dürfte ich wol kaum noch einen huldvollen Blick von Dir erwarten. Du sagst: Bis dat, qui cito dat! Ich aber dachte: „Was lange währt, wird gut“. Mein Spruch hat sich leider nur halb bewährt. Ich hoffte, Dir b Näheres über meine Reise mittheilen zu können und dies war auch der Grund, weshalb ich Deinen Brief von Tag zu Tage verschob; doch leider haben meine Actien noch immer denselben Cours und stehen im Allgemeinen sehr flau. In den ersten Tagen des Decembers schrieb Peters nach Portugal und bis heute erwarten wir vergebens die Antwort auf diesen Brief. In ihr ruht mein künftiges Schicksal; Du kannst Dir also denken, wie sehnlich ich sie erwarte. Meine ursprüngliche Ungeduld hat sich in der langen Zeit freilich schon abkühlen müssen und an ihre Stelle ist eine stoische Ruhe getreten, mit der ich der Entscheidung entgegen sehe. Fällt sie negativ aus, so würde mich dies sehr unglücklich machen, aber doch auch den Grund zu neuen Planen legen, die wir dann hier gemeinschaftlich schmieden || könnten. c Das Pläne-Schmieden ist das einzige Gewerbe, worin ich Meisterschaft besitze; wenn wir es zusammen treiben, dann ist nur zu fürchten, daß wir ein zu großartiges Monstrum zu Stande bringen. Der Plan nach Angola hatte ungemein viel Anziehendes und Verlockendes und noch ziehe ich das von so Vielen gefürchtete Land fast allen Gegenden vor, in die mich naturwissenschaftliche Reisen versetzen könnten. Die vollkommene Jungfräulichkeit des ganzen Landes muß für einen jungen Mann gewiß reizvoll sein; nach jeder Richtung und in allen Zweigen der Wissenschaft kann man dort Neues leisten und ich zweifle, d ob man bei der Bereisung irgend eines andern Landes sich in dem Maaße das Zeugniß geben kann, daß man zur Fortbildung der Wissenschaft e wirkt. Ihr habe ich mein Leben gewidmet; darum ergriff ich mit Enthusiasmus die herrliche Gelegenheit, die sich mir bot und ihre Vernichtung wäre mir der empfindlichste Schlag, den man mir ertheilen könnte, so sehr ich auch auf diesen Schlag gefasst bin.

Meine Feder hat mich in meinen Angelegenheiten so herumschweifen lassen, daß ich die Deinigen darüber fast vergessen hätte und doch steht ein Tag bevor, der ebenso wichtig für Dich, für mich, für die Wissenschaft und für die Fortbildung der Menschheit ist, als er furchtbar und schrecklich ist für || die armen Bestien, welche als Schlachtopfer für die Wissenschaft unter Deinem scharfen Messer bluten müssen. Wie manche Vorticellen-Familie magst Du schon in unbeschreibliches Unglück gestürzt, wie mancher Protea schon ihren geliebten Proteus entrissen haben. Welch entsetzliches Andenken mußt Du an dem Hauptsitz Deiner blutigen Schandthaten, in Helgoland, hinterlassen haben, wo Du mancher Familie Urahne, Großmutter, Mutter und Kind nebst einem Schock Ammen entrissen und, was das Schrecklichste ist, in Spiritus gesetzt hast. Doch da Du mich bisher verschont hast, so übersehe ich all diese Zeichen Deiner schwarzen Seele und nahe mich in Ehrfurcht dem Geburtstagskind des 16.t Februars, dem Manne der Zukunft. Ich gratulire Dir von Herzen und wünsche Dir sehr Vieles. Damit meine ich nicht, daß Du viel zu wünschen übrig läßt, wohl aber, daß man Dir Manches wünschen könne, z. B. daß Du im Laufe dieses Jahres mit mir zusammen eine Reise antretest ohne blos als Last-Träger zu wirken. Doch dies steht bei den Göttern und läßt sich besser mündlich abhandeln. In vier Wochen bist Du hoffentlich schon hier. Ich freue mich ungemein auf die Zeit, wo wir uns gegenseitig unsere Erlebnisse und unsere Pläne werden mittheilen können. Leider wird sie wohl sehr kurz sein; denn vielleicht verlasse ich Berlin schon in sechs Wochen (Anfang April), um nach Wien zu || gehen und für die geolog. Reichs-Anstalt zu reisen. Du wirst Dich übrigens über mein thatenreiches Leben freuen, welches meinem König und meinem Unterofficier, nebenbei auch etwas der Wissenschaft gewidmet ist. Die Hälfte meiner Zeit wird durch Exerciren consumirt, die andre Hälfte durch eine von Lesen und Herumlaufen unterbrochene Müdigkeit. Meine Thätigkeit ist also eine nicht sehr bedeutende. Man ist als Soldat f in einem so unglücklichen Zwitterleben, daß man Keines von beiden recht ist, weder Krieger noch Philister. Ich bin nämlich gestern in die Reihe der letzteren getreten, indem ich mich zur Würde eines Doctor philosophiae et Magister artium liberalium emporgeschwungen habe. Gestern Abend war mein Doktorschmaus, bei dem ich Dich sehr vermißte. Wir waren achtzehn Personen und fast bis 4 Uhr zusammen. Wie schön wäre es gewesen, wenn Du das Fest mit Deiner Gegenwart verherrlicht hättest; so konnte nur Dein Andenken in einem Toast leben. Uebrigens freue ich mich, daß ich endlich das langersehnte leidige Examen hinter mir habe. Es stand immer vor mir wie ein drohendes Gespenst und ließ mich zu keiner vernünftigen Arbeit kommen, die nicht auf dasselbe Bezug hatte. Jetzt bin ich ein freierer Mann, wenn mich auch das Trilemma, in dem ich mich in Betreff meiner nächsten Zukunft befinde, nicht allzu sehr zu || einem einheitlichen Arbeiten kommen läßt. Ich hatte mir als Aufgabe für diesen Winter g die Bearbeitung der Fauna des Muschelkalks gestellt; doch wurde ich mitten in meiner Arbeit im mineralogischen Cabinet durch Beyrich’s Anfrage unterbrochen, ob ich Lust zu einer Reise nach Angola habe. Von diesem Augenblick an habe ich meine mit Enthusiasmus angefangene Arbeit liegen gelassen und nicht wieder aufgenommen. Die neu angeregte Idee war schöner, großartiger, erforderte mehr und wichtigere Vorbereitung und im Vergleich zu ihr erschien mir meine vorige Arbeit als eine kleinliche. Jetzt bereue ich die Unterbrechung, die mein glühender Eifer für Afrika hervorrief. Die Arbeit wieder aufzunehmen geht nicht; dazu ist es zu spät. Für Oesterreich kann ich mich auch nicht vorbereiten; denn jeden Tag kann die Entscheidung über die afrikanische Reise eintreffen und dann wäre jene h Vorbereitung verloren. Auf Afrika endlich mich vorzubereiten, dazu ist die Aussicht zu ungewiß und durch das lange Ausbleiben des Briefes zu sehr getrübt. So muß ich mich denn mit allgemeinen Dingen beschäftigen. Ich lese Vogt’s physiologische Briefe, treibe ein Bischen Zoologie und arbeite so ganz ohne alle i Einheit. Wie beneide ich Dich, daß || das Jahr seit unsrer Trennung von so großem Nutzen für Dich gewesen ist. Du bist indeß eifriger Mediciner geworden und hast doch dabei auch Deine zoologischen und Entwickelungs-Kenntnisse erweitert; Du hast eine schöne fruchtbringende Reise gemacht und stehst nun wohlgerüstet am Ziele Deiner Studien. Für mich dagegen war dies verflossene Jahr fast ein verlorenes, da man nicht zwei Herren dienen kann. Ich habe Viel vergessen, bin mit Mühe Doctor geworden und stehe nun an einem Wegweiser, dessen Arme abgebrochen sind. Welcher Weg der beste sein wird, weiß ich nicht und kann ich nicht entscheiden. Der, den ich eingeschlagen habe, scheint sich im afrikanischen Wüstensand zu verlieren; finde ich ihn wieder, so kann er mich allerdings in den schönsten Urwald führen. Zu Weihnachten war ich zu Hause j im Kreise meiner Eltern und Geschwister nach langer Trennung. Es ist doch unbeschreiblich wohltuend, aus dem kalten Berliner Leben, das nur durch meine Freunde und durch die wissenschaftlichen und Kunst-Genüsse verschönert wird, wieder in das traute Leben eines engverbundenen Familienkreises zu kommen. Es waren kostbare, leider kurz zugemessene Tage, deren Erinnerung mir noch jetzt in dem gemüthlosen Berlin manche Stunde verschönert. Mit welcher Freude mußt Du dem || Augenblick entgegen sehen, wo Du wieder auf längere Zeit zu Deinen Eltern zurückkehrst.

Lebe recht wohl und komm bald. Doch vorher schreibe noch einmal

Deinem alten treuen Freunde

Ferdinand v Richthoffen

a gestr.: zu; b gestr.: in; c gestr.: Dies ist; d gestr.: daß; e gestr.: reist; f gestr.: ist; g gestr.: eine bestimmte A; h gestr.: A; i gestr.: A; j gestr.: bei

 

Letter metadata

Recipient
Dating
14.02.1856
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 21648
ID
21648