Karl Rothe an Ernst Haeckel, Weimar, 12. November 1899
Sehr geehrter Herr Professor!
So sehr es mich immer darnach verlangt hat, in die „Welträthsel“ einzudringen und mir durch eigenes Studium ein Urtheil über das in letzter Zeit so viel besprochene Buch zu bilden, so bin ich doch bis jetzt nicht über einige kleine Anfänge ruhiger Lectüre hinausgekommen, da || ich seit meiner Rückkehr vom Urlaub mit dringlichen Arbeiten geradezu überschüttet worden bin u. in den letzten Wochen namentlich mit den vorbereitenden Arbeiten für den Landtag sehr viel zu thun gehabt habe. In dieser Geschäftsbedrängniß liegt auch zugleich die Erklärung meines bisherigen Schweigens. Mit einer bloßen Empfangsan-||zeige u. Danksagung wollte ich, da eine ernste Sache auch ernst behandelt sein will, Ihre Freundlichkeit nicht abthun u. zu einer eingehenderen Betrachtung Ihres Werkes habe ich, wie gesagt, bis jetzt noch keine Zeit gefunden. Wenn nicht früher, so wird mir aber jedenfalls die Weihnachtspause die erwünschte Gelegenheit zur Lectüre des Buches bringen.
Inzwischen haben Sie, verehrter Herr Professor, die Güte gehabt mich mit einer || weiteren Zusendung zu erfreuen u. diese Sendung mit einem so freundlichen Schreiben begleitet, daß ich nicht umhin kann, Ihnen für Ihre große Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit meinen verbindlichsten Dank auszusprechen; ich füge demselben die Versicherung hinzu, daß ich es mir zur Ehre gereichen lassen werde, unser || geliebtes Jena als eine Pflanzstätte geistigen Lebens und wissenschaftlichen Strebens zu erhalten, u. daß ich mich glücklich schätze, daß Sie, hochverehrter Herr Professor, mich in so freundlicher Weise die Früchte Ihrer Geistesarbeit und Ihrer Forscherthätigkeit mit genießen lassen.
In dieser Gesinnung verbleibe ich stets der Ihrige, || indem ich mit der Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung und aufrichtiger Verehrung zeichne als
Euer Hochwohlgeboren
sehr ergebener
Rothe
Weimar
den 12. November
1899.