Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Berlin, 12. Juli 1857

Berlin d. 12. Juli 1857.

Lieber Häckel!

In der Hoffnung, daß Deine Gedanken nicht so sehr anderweitig erfüllt sein werden, daß sie zu einer zu einer kleinen Abschweifung unfähig wären, wage ich es, Dir ein Lebenszeichen zu geben; doch in der Voraussetzung, daß Du allerdings Vielerlei u. Wichtigeres zu thun u. zu denken habest, gebe ich auch nicht viel mehr. – Deine Pläne sind immer der Art, daß sie genug von sich sprechen machen u. so habe ich denn auch durch Deine lieben Eltern u. sogar durch Andere von Dir in diesem Sommer gehört. Die meinigen können das nicht von sich rühmen; also entschuldigst Du mich vielleicht, wenn ich, diese kaum berührend, Dir von einzelnen andern Dingen Meldung thue. Denn meine Pläne müssen eigentlich ihrer Entwicklung erst noch warten; mich beschäftigt, die Entscheidung herbeizuführen; gleichwohl hält es mich länger auf, als ich vorher gedacht habe. Die wird sich wohl noch einige Zeit länger, als vermutet, hinausschieben.a – Von solchen Thaten, wie Du, kann ich nicht berichten, dem die Sömmeringbahn [!], Tyrol etc. etc. wie ein andrer Welttheil vorkommt; ich würde wohl zufrieden sein, dafür unsre nordischen Gebirge oder Berge, wenn Du willst, einzutauschen. Würde? nun, || ich will sagen, ich bin’s. Denn ich hab ja mein Theil zu Pfingsten zu sehen bekommen, den Harz. Beyrich machte mit seinen Zuhörern eine geognostische Excursion dahin, der ich mich anschloß u. auf der ich reichlich belohnt wurde. Nur Eins ist schlimm dabei: es wachsen einem die Flügel zu schnell, u. wollen nachher sich nicht verschneiden lassen. Acht Tage beschäftigte uns der Oberharz bis südlich zur Roßtrappe: die Theilnehmer, durchschnittlich Bergleute, sindb meist recht nette Leute: einfach, gemüthlich u., Einige wenigstens, voll Interesse. Beyrich gab einen ausgezeichneten Führer ab; u. da auch einiges Neue gefunden ward, so glaube ich, ist auch für ihn die Tour von mehr als aufopferndem Interesse gewesen. In die Details mag ich mich nicht einlassen; die würden Dir bei Deinen jetzigen großen Plänen zu minutiös vorkommen; Beschreibungen würden Dich langweilen, obschon Du, glaube ich, den Oberharz nicht kennst, der in der Hauptsache auch nur c gewöhnliche Gebirgsthäler – zwischen sedimentärem Gestein – und seltener große Spalten u. Risse – im eruptiven Gestein – hat, wo Baum u. Gesträuch sich mit aller Kraft am nackten Felsen anklammern muß. Jene sagen dem Botaniker mehr zu, diese dem mineralogischen Geognosten. Natürlich verschwand der Erstere bei mir ganz, diesmal auch ohne Bedauern (!); doch sah u. freute ich mich über Dentaria bulbifera, Arabis Halleri, Trientalis europaea, Lycopodium Pelago (Achtermannshöhe) mit Empetrum nigrum, Andromeda polifolia u. A. ||

Dagegen mit wahrhaft erhebender Freude sah ich u. kletterte an den kostbaren, weit u. feinverzweigten Granitgängen des Rehberger Grabens im anliegenden Grauwackensandstein, jener klassischen Stelle, die die Eruptivität des Granits – für den Harz – mit solcher Evidenz darlegt u. dargelegt hat! – Doch derlei u. großartigere Dinge könntest Du in Tyrol etc. auch sehen, aber die Verhältnisse sind dort nicht so einfach u. durchsichtig.

So laß uns das Übrige übergehen. Denn sonst kämst Du in Gefahr eine Abhandlung, die Dir doch unorganisch erscheinen würde, zu erhalten. Ergötze Dich ferner in Deinem Sinn u. Glückauf auf den Weg!

Nächstens werde ich nach Halle schreiben, von wo ein großer Mahnzettel an mich gelangt ist. Du weißt, daß Hetzer das Examen gemacht hat u. in Weißenfels dient, daß Weber noch vor dem mündlichen steht. Sonst ist im Grunde nichts zu melden von dort. –

Ich höre, daß Du nach Exemplaren Deiner Dissertation suchst; nun, mein rotes Goldschnittexemplar, wenn’s sein muß, soll Dir zu Diensten stehen, doch unter der Bedingung, daß d an seine Stelle ein deutscher Abdruck e kommt.

Meine Tante ist gestern nach Eger gereist, die Beyrich begleitet sie. In etwa 14 Tagen kehrt sie zurück.

Meine letzten (nähern)f Bekannten (etwa 4) gehen zu Michaelis sämmtlich von hier fort; drum freue ich mich schon im Voraus auf Deine Rückkehr, wenn die auch Dich hinlänglich sonst beschäftigen wird. Oder denkst Du etwa noch an Halle? Wohl nicht mehr! – Jetzt, wie immer

Dein treuer Freund

E. Weiß.

Wo werden Deine unterwegs gesammelten Pflanzenschätze diesmal hinwandern u. aufgezeichnet werden, da Deine Eltern ins Bad reisen? –

Ich wohne Kochstraße 9, 3 Treppen.g

a mit Einfügungszeichen eingef.: Die wird … vermuthet, hinausschieben; b korr. aus: xxx; c gestr.: G; d gestr.: Du; e gestr.: an mich; f eingef.: (nähern); g Text auf dem linken Rand von S. 3, um 90° gedreht: Wo werden … 3 Treppen.

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
12.07.1857
Place of origin
Country of origin
Destination
Wien
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 16647
ID
16647