Friederici, Erna

Erna Friederici an Ernst Haeckel, Südende, 15. Mai 1911

Südende, Mittelstr. 3, 15.V.11.

Mein hochverehrter, lieber Herr Professor Haeckel!

Von Frau von Crompton hörte ich, welch böser Unfall Sie betroffen hat und ans Bett fesselt. – Ihre Pläne, nach Berlin zu kommen – und damit auch meine Hoffnung, Sie wiederzusehen, ist nun natürlich auch gescheitert. ||

Wie sehr bedaure ich Sie, jetzt bei dem herrlichen Frühlingswetter ans Zimmer gefesselt zu sein, nur nützt mein Bedauern Ihnen herzlich wenig. –

Da Sie aber nun unfreiwillig Mußestunden haben, darf ich Ihnen wohl mit diesem Briefe ein wenig die Zeit verkürzen.

In den nächsten Tagen will ich meine Tätigkeit – die tägliche Arbeit in || einer der Säuglingsfürsorgestellen von Berlin – etwas unterbrechen und einen 14tägigen Urlaub nehmen. Ich reise mit meinen Eltern nach dem Genfer See und hoffe, daß wir drei dort die gewünschte Erholung finden und Kräfte sammeln, um weiter zu arbeiten und zu kämpfen. Sorgen und Enttäuschungen werfen fortgesetzte Schatten in unser Leben, das || so sonnig sein könnte, weil zwischen meinen Eltern und mir Liebe und Verständnis herrscht. – Aber wo hätten wir ungetrübtes Glück unter den Menschen! Man muß beizeiten lernen, genügsam sein und tapfer aushalten und die wenigen Stunden, da uns das Glück besucht, mit ganzem Herzen genießen

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Ich wurde gestört und der Brief blieb liegen. || Nun muß ich ihn wohl beenden, in wenigen Stunden geht unser Zug nach Basel. Vielleicht kann ich auf der Rückfahrt in Jena die Fahrt unterbrechen und Sie begrüßen. Ich schreibe Ihne noch von unterwegs.

Verzeihen Sie den eiligen Brief.

In der Hoffnung, daß sich Ihr Leiden bald bessert grüßt Sie herzlichst

Ihre dankbare

Erna Friederici

 

Letter metadata

Recipient
Dating
15.05.1911
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 1567
ID
1567