Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Theodor Ernst von Siebold, Berlin, 30. Januar 1861

Berlin 30.1.61.

Hochverehrter Herr Professor!

Der Grund, daß ich Ihnen erst heute antworte, liegt darin, daß ich immer noch die Hoffnung hatte, Ihnen mit diesem Briefe zugleich die gewünschte Dissertation Dubowskys: Commentatio de parthenogenesi schicken zu können, welche ich auf verschiedenen Wegen zu erlangen versucht hatte. Indeß sind leider alle diese Bemühungen vergeblich gewesen; selbst der Pedell, der sonst immer die Dissertationen der hier promovirten Doctoren zu verschaffen weiß, konnte sie mir nicht liefern. Indeß sagte mir Alexander Braun, welcher sie gelesen hatte, daß darin wenig Neues und Interessantes zu finden sei, und dies wenige nur negetativer Natur, so daß Sie nicht viel daran verlieren werden. Herr von Dubowsky selbst ist schon lange nicht mehr hier, sondern, wie ich kürzlich von Lieberkühn erfuhr, schon im vorigen Jahre nach Moskau gegangen, wo er wahrscheinlich schon eine Professur bekleidet. Ich habe ihm Ihren Brief dahin nachgeschickt. ||

Ihrer gütigen Aufforderung, Sie mit einigem Material für Ihre Zeitschrift zu versehen, kann ich leider jetzt nicht nachkommen, da ich vorläufig noch alle Hände voll mit der Vollendung meines Radiolarienbuches zu thun habe. Ich habe den Plan desselben dahin erweitert, außer meinem eigenen, in Messina erbeuteten Material, auch zugleich alle a bisher darüber mitgetheilten, zerstreuten Mittheilungen zusammenzufassen, was namentlich in Betreff der Ehrenbergschen Notizen, die allenthalben vertheilt sind, die Arbeit sehr vermehrt. Auch die Ausarbeitung des allgemeinen Theils macht mir noch ziemlich viel Arbeit. Mit dem speciellen bin ich ziemlich fertig. Von den Kupfertafeln sind jetzt bereits 20 gestochen und 5 andere gezeichnet. Ich habe nun noch etwa 8 auszuführen und hoffe also doch, daß das Buch im Laufe des Sommers erscheinen wird.

Ich habe bei dieser vielfachen und dringenden Beschäftigung immer noch nicht dazu kommen können, Ihnen die versprochenen pelagischen Wirbellosen aus Messina b auszusuchen und zu schicken. Ich hoffe dies bei Gelegenheit meiner Übersiedelung nach Jena thun zu können, wohin ich auch alle Sammlungen mitnehme. || Ich werde mich in der nächsten Woche in Jena habilitiren und im Sommer dort Zoologie lesen, welche mir mein Freund Gegenbaur, der mit Vorlesungen überhäuft ist, gütigst überlassen will. Ich freue mich ordentlich, von hier fortzukommen, da die Existenz innerhalb der hiesigen wissenschaftlichen Kreise, und speciell unseres Faches, seit Mueller Todes sehr ungemüthlich geworden ist. Herr Reichert, dem der Russische Staatsrath noch stark in den Gliedern zu stecken scheint, macht sich nicht gerade sehr beliebt und man erzählt sich von ihm Akte despotischer Willkühr, die stark nach Sibirien schmecken. Und nun vollends als Nachfolger von Mueller!! Unser herrliches, vergleichend anatomisches Museum wird von dieser Differenz zu erzählen wissen! Mit August Mueller (der übrigens als Lehrer der menschlichen Anatomie sehr tüchtig ist), verhält es sich auch richtig, wie Sie vermuthen, er ist von Reichert fort empfohlen worden. Wie Reichert vergleichende Anatomie lesen muß, können Sie daraus ersehen, daß die Zahl der Zuhörer, die bei Mueller 80–120, selbst 140 betrug, auf 14 (!) herabgesunken ist, und daß August Mueller, der im letzten Sommer ebenfalls vergleichende Anatomie las, ihm mit Glück Concurrenz machte. ||

Ich hatte immer gehofft, Sie auf Ihrer Rückreise von Königsberg noch einmal hier zu sehen, um Ihnen meine aus Sicilien mitgebrachten Sammlungen zu zeigen, unter denen Sie vielleicht nicht bloß die Thiere interessirt haben würden. Leider erwartete ich Sie vergeblich; die Ermeländischen c und Kaschubischen Fische werden Ihnen wohl keine Zeit übrig gelassen haben. Schade, daß Sie auch an dem hiesigen Universitätsfest nicht Theil nehmen konnten; es fiel im Ganzen doch interessant aus, wenigsten viel besser, als man von den hiesigen Verhältnissen erwarten konnte.

Mit der vorzüglichsten Hochachtung und mit der Versicherung, daß es mich außerordentlich gefreut hat, in Königsberg Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, bleibe ich

Ihr ergebenster

E. Haeckel.

Berlin, Wilhelmstraße 73.

a gestr.: fr; b gestr.: zu; c gestr.: Fische

 

Letter metadata

Dating
30.01.1861
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 15289
ID
15289