Fürbringer, Max

Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Heidelberg, 8. Juli 1901

Heidelberg, 8.7.01.

Lieber Freund!

Deinen lieben Brief vom 1. des Monats nebst Ziehen’s Einlage habe ich erhalten und letztere sofort an Semon weiter gesendet. Nach Wiederauffrischen des Semon’schen Erinnerungsbildes infolge der Angaben Ziehen’s hat sich Semon entsonnen, dass er wohl im Jahre 1894 Kölliker eine Anzahl von Gehirnen nach Rücksprache mit Ziehen und unter dem Versprechen Kölliker‘s, vor Ziehen darüber nichts zu veröffentlichen, gegeben hat, und ausserdem hat sich mir – gestern Abend noch in letzter Stunde, als ich die alten Briefschaften betreffend die Forschungsreisen (die mir Semon seiner Zeit zugesandt) nochmals durchkramte – ergeben, dass auch ich dabei nicht unbetheiligt war, wenigstens fand sich ein Brief von Kölliker vor (Ende April 94), worin Kölliker an Semon über diesen Punkt schreibt, allerdings nicht zugiebt, ob und was er von Semon empfangen habe oder zu empfangen wünsche.

Es ist somit für uns ausgemacht, dass Ziehens Angaben richtig sind, dass Kölliker im Mai 1894 einiges von Semon erhalten hat, während die Mittheilung Kölliker’s, dass er 1897 die Gehirne von Ziehen bekommen, eine irrige war. Wir sind somit durch den alten Ehrenmann in doppelter || Beziehung hereingelegt worden. Dass weder Semon noch ich uns an 1894 erinnerten, ist eines jener Räthsel der Erinnerung, die in diesem oder jenem Bilde ganz verlöschen kann. Semon hat damals mit Hunderten wegen Materials verhandelt und ich habe mit Kölliker wohl nur wenige Worte darüber gewechselt, während Ziehen als der bei den Hirnuntersuchungen am direktesten Betheiligte sich wohl der Sache am genauesten erinnerte, eventuell auch Notizen und Briefe von Kölliker zur Hand hatte.

Das Facit ist jedenfalls, dass Du durch unsere Vergesslichkeit und insbesondere durch das von mir aufgesetzte Schreiben, das Du in angeborener Liebenswürdigkeit ohne jede Änderung unterschrieben, mit hereingelegt worden bist, und ich habe Dich dieserhalb herzlichst um Entschuldigung zu bitten.

Die weitere Entwicklung dieser Affaire lag gleich nach Empfang Deines l. Briefes für mich klar vor Augen. Jetzt muss ich alles auf mich nehmen, da ich das Comité-Schreiben redigirt. Ich habe somit auch einen persönlichen Brief aufgesetzt, der Dir via Semon zugehen wird und den ich auf eigene Faust, nur mit meiner Unterschrift versehen, an Ziehen senden will, natürlich nicht, bevor er Eure Censur und Correctur passirt und || Eure Billigung und Verbesserung erfahren hat. Der Tenor des Briefes entspricht dem des Ziehen’schen Briefes an uns.

Mir erscheint diese Beantwortung des Briefes an Ziehen durch mich weitaus das Räthlichste. Wenn Ziehen wieder antwortet, darf das Comité nicht wieder einem ähnlichen Briefe ausgesetzt werden, wie der letzte von Ziehen war. Ausserdem stehen Ziehen und Semon schlecht, Ziehen wird nicht in der geeigneten Weise an Semon schreiben können, Du aber mußt als höherer Geist ganz aus dem profanen Gezänke bleiben. Ich habe Euch die Suppe eingebrockt, muss sie also auch ausessen. Ausserdem eigne ich mich aber auch bei meiner persönlichen Stellung zu Ziehen (die an sich gar keine schlechte ist) am besten zum Puffer, brauche auch dem überaus selbstbewussten und von der Menschheit weit überschätzten Autor gegenüber meine Worte nicht so auf der Goldwage zu wiegen, als wenn ich das im Auftrage des Comité’s thäte. Ich bitte somit um Deine Freundliche Zustimmung zu dem von mir einzuschlagenden Wege.

Hoffentlich geht es Euch allen in jeder Hinsicht recht gut, hoffentlich blühen im Referirabend, auf Schweizerhöhe und Forst Wissenschaft und Humor in aeternum. Hier kommen wir vor vieler Arbeit noch nicht || zur eigentlichen Kenntniß und Auslese der für uns passenden Menschen. Die Zeit fliegt.

Herzliche Grüsse von Haus zu Haus

Dein

M. Fürbringer.

Der Brief Dr. Fischer’s mit seinem hochherzigen Entschluss befindet sich wohl in Deinen Händen und ist auch mündlich von Dir beantwortet worden. Ein schriftliches Dankschreiben des Comité’s ist aber auch wohl am Platz. Semon will auf seine Freiexemplare verzichten. Dass Ritter dieselben nach wie vor (natürlich von jetzt ab Fischer abgekauft durch uns oder Semon und mich) erhalte, ist wohl selbstverständlich. Dieser Punkt wird wohl am besten nicht mit Dr. Fischer besprochen, damit daran nicht in letzter Stunde die ganze Sache scheitert.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
08.07.1901
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 1348
ID
1348