Fürbringer, Max

Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Basel, 18. August 1900

Basel, 18.8.1900.

Lieber Freund!

Dein Telegramm gab mir Kunde von Deiner ganz nahe bevorstehenden Abreise, der gewiss noch ein Abschiedsbesuch bei Deiner Tochter in Leipzig vorausgeht, sodass ich davon absah, Dir durch ein persönliches Abschiednehmen in Jena die letzten Deiner Familie gewidmeten Abschiedsstunden zu verkümmern. Inzwischen bist Du in Heidelberg angekommen und hast durch Gegenbaur erfahren, was sich mich betreffend vollzogen hat. Der Ruf, der feindlichen gegen unsere Schule gerichteten Bestrebungen gegenüber mir unerwartet und fast wie durch ein Wunder telegraphiert zukam, musste angenommen werden, sollte Heidelberg nicht für immer uns verloren gehen; zudem wirkte die Aussicht, meinem innig geliebten und herzlich verehrten väterlichen Lehrer nun ganz nahe zu sein, wie ein kategorischer Imperativ auf mich. Und dann endlich ein Ende des trostlosen Zusammenseins mit den Jenenser Anatomischen Collegen, ein Ende des steten Kampfes gegen negative Einflüsse, die unausgesetzt meiner aufbauenden Thätigkeit destruirend entgegenwirkten, der Leidensgeschichte, von der Dir manche meiner Klagen schon || berichtet, die aber doch tiefer in mein Inneres eingegriffen hat, als ich irgend Jemand merken ließ! Gegenüber diesem Punctum maxime fixum Jenense muss ich weichen, da ich es ohne zu grosses Odium nicht beseitigen kann, und ich empfinde meinen Rückzug als Erlösung.

Aber dabei wissen und schätzen meine Frau und ich sehr wohl und genau, wie viel wir an dem geliebten Jena mir seiner paradiesischen Lebensweise, mit seinen Anregungen, Erfrischungen und Bereicherungen, mit seinen blumen- und vogelreichen Wäldern verlieren. Das sind unersetzliche Güter, die wir jetzt aufgeben. An die Abende auf der Schweizerhöhe werden wir immer mit Heimweh zurückdenken, und die Wildniss um unser Haus werden wir vergebens in Heidelberg suchen. Und fast alles, was wir dort und von dort aus Liebes und Gutes erlebt, das Beste knüpft sich an Deine Person, an Dich, den lebendigen Mittelpunkt in dem frohen Kreise, dem wir immer dafür ein lebhaftes Dankesgefühl bewahren werden. Sei innigst für das Alles bedankt, was Du uns gethan. Aber ich denke, daß wir von hier aus noch manchmal die Schritte nach Jena lenken werden.

Ich habe mit dem Ministerium verabredet, dass ich erst am 1. April die Heidelberger Stelle antreten will. So kann ich während des Wintersemesters Deine Aufträge || unbeeinträchtigt ausführen und alles das wahrnehmen, was Du wünschest und für gut hältst.

Eine sehr wichtige Frage ist die meiner Nachfolge. Die Wahl wird sich während deiner Abwesenheit in Asien vollziehen. Ich vermuthe, dass Rabl, der sich in Prag sehr unwohl fühlen und sehr bereuen soll, den Züricher Ruf abgelehnt zu haben, und natürlich auch Bardeleben besonderes Interesse für die Jenaer Anatomische Professur haben. Bardeleben ist sachlich eine Unmöglichkeit; er würde – ganz abgesehen von seinem von uns genugsam besprochenen Charakter – die Jenenser Anatomie gänzlich auf den Hund bringen und ihr Renommée der allgemeinen Lächerlichkeit Preis geben. Rabl, den ich auch nicht sehr hoch stellen kann, hat sich durch sein Benehmen und seine Stellung gegen Dich und Gegenbaur für Jena unmöglich gemacht; auch würde dieser aufgeregte und aufgeblasene Mann ein sonderbarer College sein. Aber Beide werden sicher ihre Fürsprecheer finden. Um ihren Candidaturen mit Erfolg zu begegnen, bedarf es für die Facultätsverhandlungen Deiner schriftlichen Willensäußerung resp. Deines Veto, dass man Dir nicht unliebsame, unzuverlässige oder gegnerische anatomische a Collegen an die Seite setzt. Ich würde jedenfalls dafür sorgen, dass was Du wünschest zur vollkommenen Kenntniß der Facultät kommt. || Jena, so zu sagen die speciellste Burg Deiner und Gegenbaurs Richtung, darf nicht den Gegnern überliefert werden. Und da bieten sich für mich eigentlich nur zwei Candidaten: Ruge oder Maurer. Weiteres genauer Erwägen läßt mich Maurer den Vorzug geben. Ich schätze Ruge, dem ich aus alter Zeit befreundet bin, gewiss nach seinen mannigfachen guten Qualitäten, aber er scheint sich – nach zahlreichen Indicien zu schließen – in den letzten Jahren wunderlich entwickelt zu haben; er hat seiner Zeit durch Indifferenz oder Ungeschicklichkeit Amsterdam für uns verloren gehen lassen, er würde jetzt auch Zürich, wo die Verhältnisse äusserst schwierig liegen, sicher für uns verlieren, – ganz abgesehen davon, dass er vielleicht gar keine Sehnsucht empfinden dürfte, das ihm zur guten Heimath gewordene Zürich zu verlassen und dafür eine Symbiose mit Bardeleben einzugehen. Ich halte es für recht wahrscheinlich, dass er einen selbst mit relativ hohem Angebote an ihn gehenden Ruf schließlich doch ablehnen und uns damit in die bitterste Verlegenheit bringen würde. Auch habe ich in den letzten Jahren wiederholt von Züricher Studenten gehört, dass er ein sehr gediegener Mann, aber kein anregender Lehrer sei. Maurer steht durch seine fundamentalen, z. Th. ganz schöpferischen und hoch bedeutenden wissenschaftlichen Arbeiten unter allen Candidaten || Deutschlands obenan, er überragt darin auch bei Weitem Ruge, der wohl vieles Treffliches und Gediegenes geliefert hat, aber lange nicht den weiten Blick und die Originalität Maurer’s besitzt. Maurer ist zudem ein geschätzter Lehrer; sein histologischer Curs ist von gereiften Fachmännern über alle denselben bekannten sonstigen mikroskopischen Übungen gestellt worden. Dadurch, dass er zu Ostern 1901 Gegenbaur 3 volle Semester vertreten haben wird, nimmt er an Kenntnis und Übung auf dem genannten anatomischen Lehrgebiete und an Erfahrung der Leistungen und Pflichten eines Anatomie-Directors allen sonstigen Candidaten, die nicht Ordinarien sind, gegenüber eine Vorzugsstellung ein. Man kann Maurer selbst bei dem Gegner mit bestem Gewissen als besten Nachfolger empfehlen und wird mit ihm Ehre einlegen. Gegenbaur schätzt ihn sehr; meine Frau und ich haben ihn und seine Frau als sehr angenehme und ganz zuverlässige Menschen kennen gelernt; namentlich die frische, junge Frau wird ein Erwerb für die Schweizerhöhe sein. Zudem ist b Maurer, der wohl über 20 Jahre bei Gegenbaur immer mit Treue und Hingebung seine Pflicht gethan, ein Ordinariat sehr zu gönnen. Du bekommst einen guten und treuen Collegen, Jena fährt gut mit ihm, und wir haben || damit wieder ein Ordinariat gewonnen. Ich würde ihn ja für Heidelberg entbehren; aber es wäre ordinärster Egoismus, ihn hier zu halten.

Vermuthlich wirst Du über alles das auch mit Gegenbauer sprechen; ich hoffe, dass dessen Anschauungen und die meinigen im Wesentlichen zusammengehen.

Es war mir eine Herzenssache, diese Angelegenheit schon jetzt bei Dir anzuregen, damit nicht etwa während deiner Abwesenheit von Jena ein verhängnissvoller, irreparabler Fehler begangen werde. Ich würde es unendlich beklagen, wenn eine Wahl getroffen würde, an der Du später zu leiden hast und an der Jena’s Ruf Schaden nimmt. Selbstverständlich stehe ich Deinen Wünschen jederzeit zur Verfügung und werde dieselben der Facultät getreulich weiter geben. Durch einheitliches Zusammenwirken wird es gelingen, den Gegenströmungen mit Erfolg zu begegnen. –

Und nun nochmals herzlichsten Dank für Alles und die besten Wünsche für eine glückliche Reise und gute Rückkehr. Möge es allen lieben Deinigen in dieser ganzen Zeit auch immer recht gut gehen!

Ich bin auf der Rückkehr nach Klosters und bitte die Flüchtigkeit und formelle Scheusslichkeit dieses Briefes mit der || Eile – um den Brief auch noch rechtzeitig in Deine Hände gelangen zu lassen – freundlichst zu entschuldigen. In Klosters denken wir etwa noch eine Woche zu bleiben (Hôtel Vereina); in den ersten Tagen des Septembers hoffe ich wieder in Jena zu sein.

Dein

M. Fürbringer.

a gestr.: Candidaturen; b gestr.: er

 

Letter metadata

Recipient
Dating
18.08.1900
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 1333
ID
1333