Strasburger, Eduard

Eduard Strasburger an Ernst Haeckel, Genua, 11. Oktober 1876

Genua d. 11/10 76.

Theurer Freund!

So geht Ihr denn einem kalten und trüben Winter entgegen, während uns hier eine Zukunft voll Licht und Wärme entgegenlacht! Bald fangen die Vorlesungen wieder an, und Ihr müsst an die Arbeit gehen, während ich hier in unbedingter Freiheit schwelge; ich fühle fast Gewissensbisse wenn ich daran denke, dass mein Institut den ganzen Winter über geschlossen bleiben soll und || nicht geheizt, so dass Du alter Freund wohl an Deinen Füssen frieren wirst! Und doch will ich meine Freiheit ausnutzen und nicht vor dem äussersten Termin nach Jena heimkehren; um wie viel lieber denn mich in Jena würde ich nicht Dich hier im Süden sehen; was wäre das für ein Genuss wenn wir gemeinsam die Schätze des Meeres heben könnten.

Wie oft habe ich nicht Deiner in Ischl gedacht und zwar in der trüben Ahnung, dass Deine schottische Reise wohl || zu Wasser geworden seia. Uns hatte der Zufall, oder vielmehr meine Schwiegermutter, nach dem besagten Ischl geführt und wir genossen dort drei volle Wochen eines Regens der sich gewaschen hatte. Deine schottische Reise mag in die gleiche unglückselige Zeit gefallen sein. Erst seitdem wir Ischl verlassen wurde uns das Glück günstiger; wir brachten einen herrlichen Tag in Zell am See zu und bestiegen die Schmittenhöhe, die eine volle Aussicht über die sämmtlichen Tiroler Schneeberge bietet. Dann ging es über die Alpen || nach dem schönen Riva, dann weiter nach Mailand und endlich nach Genua. Es war hier unbeschreiblich schön die ersten 8 Tage; Italien hatte uns in seinem Festgewande empfangen; meine Ausflüge nach Sta Marguerita und Nervi werden mir unvergesslich bleiben. Leider haben wir seit einigen Tagen Sirocco und der ganze Himmel hat sich mit grauen Wolken überzogen. Auch das Meer ist nunmehr bewegt, so dass ich meine Algenfischerei bis auf weiteres aufgeben musste. Der Zufall fügte es dass ich hier die Bekanntschaft eines Herrn || Dufour machte, der ein Verzeichnis der genueser Algen herausgegeben hat. Dank diesem Herrn hatte ich alsbald die besten Standorte ausfindig gemacht und eine grosse Zahl Arten war durch meine Hände gegangen. Von Siphoneen fand ich bereits mehrere Valonia und Bryopsis-Arten, ohne jedoch mit der Untersuchung dieser merkwürdigen Organismen irgend wie weiter gekommen zu sein – doch ich will der Sache weiter nachforschen. Ich hoffe unter den Algen verschiedene || Protisten anzutreffen, meine Erwartungen haben sich bis jetzt aber nicht erfüllt. Ausser einiger hungriger Infusorien ist mir fast nichts vorgekommen – ja, etwa noch einige kleine Diatomeen, weder grösser noch schöner als unsere Süsswasserformen. Es wird wohl später besser kommen, namentlich von Villafranca erwarte ich viel in dieser Beziehung. Auch von anderen Sachen kam mir bis jetzt nicht viel zu Gesichte, es mag die Jahreszeit noch ungünstig sein, die Hitze hält an und so bleibt wohl Alles in der Tiefe um später, || wenn sich die Luft abkühlt an die Oberfläche zu kommen. Doch darüber wirst Du mich, der Erfahrenere, belehren können, und vielleicht auch einige Rathschläge ertheilen wie ich die Jagd auf Protisten am besten einzurichten hätte.

Wir denken in Genua bis zum 25sten dieses Monats zu verweilen, und siedeln dann nach Nizza über. Unsere Adresse hier ist Via Assarotti 4, terzo piano 7; in Nizza zunächst poste restante. Ich hoffe lieber Freund Du lässt || bald von Dir hören und schreibst mir auch wie es sonst in Jena zugeht. Wie steht es mit dem Befinden Deiner lieben Frau, wie würde es mich freuen auch in dieser Beziehung gute Nachricht von Dir zu empfangen.

Ist die dritte Auflage Deines Buches fertig?

Ich drücke Dir in Gedanken herzlich die Hand, meine Frau sendet Dir die besten Grüsse, beide empfehlen wir uns auf das Angelegentlichste Deiner lieben Frau.

Dein treuer

E. Strasburger

a korr. aus: wäre

 

Letter metadata

Recipient
Dating
11.10.1876
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 12723
ID
12723