Klinghammer, Waldemar

Waldemar Klinghammer an Ernst Haeckel, Rudolstadt, 1. August 1903

Rudolstadt, den 1. August 1903

Sehr verehrter Herr Professor!

Wenn ich Ihnen erst jetzt für Ihre liebenswürdige Widmung, die schönen Karten von den fernen Sundainseln und den herzlichen Begleitbrief dazu danke, so liegt das lediglich daran, daß ich vor den Gerichtsferien keine Zeit fand u. seit Beginn der freien Zeit mich mit einer äußerst hartnäckigen Bronchitis herumbalge, die mir als neugebackenen Emphysemiten oft Hören, Sehen und Schreiben unmöglich machte.

Also ich bitte um mildernde Umstände aus alter Schwurgerichtsgewohnheit.

Auch wollte ich Ihnen doch gern die versprochene Quelle aus Wolffs Till Eulenspiegel abschreiben u. beilegen, von der ich Ihnen auf dem Bahnhofe erzählte. || Diese stolze Bahnhofsviertelstunde hat mir manche schlimme der letzten Wochen versüßt!

Als Sie so aus dem Dunkel des Corridors auftauchten wie ein Königstiger aus den für uns armselige Juristen ganz unzugänglichen Dschungeln der Naturforschung und sogar die Helmspitze des an der Barriere lehnenden Schutzmannes wie im St. Elmsfeuer widerstrahlte von dem Leuchten das von Ihrer Persönlichkeit ausging – da sagte ich mir: So kann nur der Mann der Welträthsel aussehn und – sprach Sie an.

Das war freilich frech von mir und wenn Sie nur einer von den sogen. Gewaltigen wären wie sie sich die Heerdenmenschen für die goldenen Throne züchten – dann hätte ich gewiß gleich die harte Faust des erleuchteten Schutzmannes im Genick gehabt – aber bei den echten Gewaltigen, denen im Reiche des Geistes, läuft man diese Gefahr eben nicht, das sind ja Menschen, die sich ihre || hohe Bildung nicht von Leutnants a. D. eintrichtern lassen u. im Nothfall hatte ich auch Ihren lieben Brief in der Tasche.

Haben Sie herzlichen Dank, daß Sie mir damals die 10 Minuten schenkten, ich hätte Ihnen mit Schweizer aus den Räubern zurufen mögen: „Hauptmann, heute habt Ihr mich zum ersten Male stolz gemacht!“

Sie wissen ja gar nicht, wie oft ich Ihnen beim Lesen Ihrer lichtspendenden Werke im Geiste die Hand gedrückt habe, wie Sie mit Ihrem unerschütterlichen Muthe zur Wahrheit das Dichterwort: Die Ueberzeugung ist des Mannes Ehre in Goldlettern hinausrücken vor die Augen der rudis indigestaque moles. Wären doch die Völker erst von der Vormundschaft der Pfaffen befreit – dann würde es bald Frühling werden.

Am Abend auf dem Bahnhof zu Rudolstadt war ich so stolz, daß mich ein ganz geheimer Staatsrath frug ob ich etwa heute Mittag beim Kaiser zur Tafel geladen gewesen sei. Ich entgegnete ihm, daß mir noch etwas viel viel Bedeutenderes widerfahren sei || und sagte ihm dann, da er in seiner bureaukratischen Unbehülflichkeit etwas Größeres nicht denken konnte – daß ich mit Ihnen gesprochen hätte.

Da zog sich der geheime Mann in das geheimste Abtheil seiner geheimen Seele zurück, ein dem folgender Fürstl. Kammerherr verfärbte sich, die Uebrigen aber, insbesondere der Dr. Bockelmann gratulirten mir herzlichst u. wir tranken einige Helle auf Ihr Specielles – aber mit Verstand, nicht wie die Studenten, blos um des Trinkens willen.

Sie sprachen davon, daß Sie vielleicht im Herbst einmal über Rudolstadt ins Schwarzathal pilgern wollten. Vergessen Sie mich dabei nicht! Das geistige Niveau R’s hebt sich jetzt sichtlich. Man hat jetzt in der Ludwigsburg 2 Wegweiser angebracht, auf dem einen steht „nach Jena“ u. auf dem anderen „nach Weimar“. Da weiß Einer doch gleich wo er hingehen muß, wenn er geistige Anregung wünscht. Neulich war auch Prof. Eucken aus Jena da u. hat auf Wunsch der hiesigen Geistlichkeit (!) über Göthe gesprochen. Danach war Göthe eine Art Pietist, wenn er das mit angehört hätte, so hätte er jedenfalls seinen Faust verbrannt u. dafür gesorgt, daß Prof. Eucken den Dr. theol. hon. causa noch einmal bekommen hätte. – – –

Die versprochene Abschrift lege ich bei. Hoffentlich können Sie meine Regenwurmschrift einigermaßen entziffern. Für die Siestastunde lege ich noch etwas Gedrucktes bei.

Eine Antwort erwarte ich nicht, denn ich weiß wie kostbar Ihre Zeit ist u. daß eine Attaque auf dieselbe eine Sünde gegen die denkende Menschheit aller fünf Erdtheile bedeutet. Höchstens wenn Sie einmal draußen sich langweilen sollten, (was bei Ihnen aber wohl nicht vorkommen kann.) u. es käme dann gerade ein Sellner u. böte Ihnen Karten mit der Ansicht des Prof. Haeckel an (so wie er damals aussah auf dem Bahnhof.) – Dann würde ich sagen: „Schicken Sie den Mann nicht fort!“ Ende nächster Woche büße ich die schwarze That dieses Briefes in einigen abgelegenen Seitenthälern Tyrols u. kehre erst am letzten des Monats vernünfthig zurück.

Mit ehrfurchtsvollem ergebenen Gruß

Ihr W. Klinghammer ||

[Beilage 1]

Gegen das Muckerthum!

Aus „Till Eulenspiegel“ von Julius Wolff

(Erschienen 1874.)

(Der Dichter hat in übermüthiger Stunde den Geist Till Eulenspiegels am Grabe citirt u. ihn zu einer Rheinreise eingeladen. Till nimmt den Dichter beim Wort, erscheint Mitternacht in einer Weinstube zu Cöln in modernem Touristengewande, begleitet den Dichter den Rhein hinauf, erlebt mit ihm mancherlei Abenteuer, macht über Alles seine prächtigen, herzerfreuenden Glossen eines behenden Philosophen u. kommt jetzt auch in das Wupperthal, wo er plötzlich beim Anblick eines Pfaffen zum ersten Male bitter ernst wird!) – – – – – –

„Langsam, wie man den Fuß in Träumen

Nur zögernd vor den andern setzt,

Daher mit würdevollem Säumen

Kam eine Kirchensäule jetzt,

Ein Geistlicher in Uniform

Mit weißer Binde, steifem Kragen,

Wie sie nach ortodoxer Norm

Die frommen Eifrer gerne tragen;

Ein Büchelchen mit goldnem Schnitt

Hielt lesend er in beiden Händen

Und schlug bei jedem sechsten Schritt

Die Augen zu des Himmels Wänden,

Als hätt' er's gern von dem verbrieft,

Wie er in Andacht so vertieft.

Kein Truthahn kann vor rotem Tuch

Aufkollernd so in Wut geraten,

Wie auf den Mann mit seinem Buch

Till Eulenspiegel; als wir nahten,

Wollt' er mir aus dem Wagen springen,

Kaum konnt' ich mit Gewalt ihn zügeln

Und mußte mannhaft mit ihm ringen;

„Laß mich heraus! den muß ich prügeln!“

So schrie er wiederholt und tappte

Nach irgendeinem Wurfgeschoß,

Ein Rätsel war mir mein Genoß,

Ich dachte: wenn der überschnappte!

Der Pastor, dem bald klar geworden,

Daß Till auf ihn es abgesehn,

War überzeugt, man woll' ihn morden,

Und sprang, dem Schicksal zu entgehn,

Mit Schrecken über Stock und Stein,

Lief, was er konnte, querfeldein.

Das gab denn nun zum guten Glück

Dem Till die Fassung schnell zurück.

Er drohte mit erhobner Faust

Dem Flüchtling, dem noch immer graust',

Und brach in ein erschütternd Lachen,

In das ich herzlich selber stimmte:

»Nun sag mir aber, welcher Drachen

Fuhr in dich, der dich so ergrimmte?

Was ist dir von dem Mann geschehn,

Daß du ihm willst den Hals umdrehn?“

„Mir? gar nichts! aber dir, euch allen,

Den Teufel kenn' ich schon von weiten

Auch ohne Hörner, Schweif und Krallen;

Er ist der Sünder aller Zeiten,

Und seine Schuld ist so gehäuft,

Daß mir die Galle überläuft,

Wenn einer mir von dieser Sorte

Zu nahe kommt, mit einem Worte:

Er ist ein Heuchler, ein Verräter

Am Höchsten, Heiligsten auf Erden,

Was Menschen früher oder später

Begreifen können, schauen werden.

Mit jeder Waffe will ich fechten,

Mit Vorurteil und Irrtum rechten,

Mit jedem Zänker mich vertragen,

An keinem Taugenichts verzagen,

Will mit dem blutigsten Despoten

Aus einem Glase trinkend wetten,

Zu jedem Lebenden und Toten

Mich auf dasselbe Lager betten,

Doch von dem Tische steh' ich auf,

Wie ich auch selber fehl' und sünd'ge,

An den ein Frömmler tritt, und künd'ge

Ihm menschliche Gemeinschaft auf.

Und ihr im stolzesten Jahrhundert,

Die ihr euch selbst so gern bewundert,

Nach Freiheit eifersüchtig ringt,

Ihr Schlachten schlagt und Lieder singt,

Ihr seid nicht frei, ihr habt vergebens

Erlösung und Triumph gefeiert,

Es steht das Ideal des Lebens

Noch immer vor euch tief verschleiert.

Ihr habt die schaffende Natur

Durchforscht und die geheime Spur

Der Elemente aufgefunden,

Habt ihre ungeheure Macht

Auf jedem Felde überwunden,

Habt Nächte schlummerfrei durchdacht,

Die ewig hohen Rätselfragen,

Die laut wie Donner bald, bald leise

Aus fernem, fernem Sternenkreise

Wie Hauch an Stirn und Brust euch schlagen,

Zu lösen und der Gottheit Wesen,

Der Menschenseele Sein und Werden

Und jegliches Gebild auf Erden

In seinen Quellen nachzulesen,

Ihr setztet Leiter über Leiter,

Systeme sich wie Berge türmen,

Als wolltet ihr den Himmel stürmen,

Und kommt und kommt und kommt nicht weiter.

Die Speise, die im Kindheitsstand

Der Menschheit leichte Nahrung war,

Reicht noch derselben Amme Hand

Dem denkenden Geschlechte dar,

Noch immer sollt in Treu und Glauben

Ihr auf die Offenbarung schwören.

Leicht ist's, die Blinden und die Tauben

Mit einer Lüge zu betören,

Allein der Menschheit Genius spürte

Mit seinem Himmelslichtes Klarheit

Der Überliefrung nach und führte

Sie vor den Richterstuhl der Wahrheit,

Und alles, was die höchsten Zeugen

Des Menschentums vor diesen Schranken

Bestätigt haben, davor beugen

Sich stumm der Sterblichen Gedanken;

Was aber des Erkennens Lehre,

Was dir des Herzens innrer Zug

Nicht sagt mit der Gewißheit Schwere,

Ist fromme Sage oder Trug.

Fort mit den Wechslern aus dem Tempel!

Ihr hohl Metall ist falsch geprägt,

Fort mit dem Dogma, das den Stempel

Nicht des Vernünft'gen an sich trägt!

Fort mit Artikeln, Sakramenten!

Die heiligen Gebote stehn

Auf Tafeln nicht und Pergamenten,

Im Herzen mußt du sie verstehn.

Bekenntnis ist ein enges Kleid,

Gefügt aus Worten, Klauseln, Listen,

Wenn ihr nur rechte Menschen seid,

Was braucht es noch des Namens: Christen?

Denn jener weiseste der Weisen,

Den alle Zeiten werden preisen,

Ein Edler, Hoher, Auserkorner,

Er ward geboren, mußte enden,

Als Mensch, wie darf ein Staubgeborner

Sich betend an den andern wenden?

Die Heil'gen und die Engelscharen

Und Teufelsspuk und Höllenglut,

Der alt und neuen Wunder Flut

Treibt prüfende Vernunft zu Paaren

Der Zweifler macht den Himmel ärmer,

Er jagt die Schemen vom Gefild

Und weist sie in den Traum der Schwärmer

Und in der Künstler hold Gebild.

Und doch gibt's – nenn' es wie du willst –

Ein Etwas noch in dieser Welt,

Womit du deine Schmerzen stillst,

Worauf sich deine Hoffnung stellt;

In deiner Brust und überall

Im weiten, weiten Weltenall

Hoch über aller Wissenschaft

Da lebt und webt die ew'ge Kraft,

Und hier im zeitlichen Getriebe,

Was ist das Höchste hier? – die Liebe!

Darf dir nun der von Liebe reden,

Der selber nicht in Liebe lebt,

In frechem Dünkel über jeden,

Der anders denket, sich erhebt?

Zum Blendwerk dient der Heil'genschein,

Darunter grinst die Teufelsfratze,

Ein Wolf im Schafspelz, schleicht sich ein

Der Pfaffe mit und ohne Glatze.

Die einen lassen den Unmünd'gen

Madonnen hier und dort erscheinen

Und Sündenablaß euch verkünd'gen,

Wenn ihr auf euren lahmen Beinen

Zu Knochen oder Röcken kriecht,

Und lassen bei verzückten Weibern

Gar Wunden bluten an den Leibern,

Wo's meilenweit nach Lügen riecht, –

Und Lieder euch die andern singen

Von himmelschreiendem Unsinn voll,

Ihr lasset auf die Knie euch zwingen,

Dann messen sie nach Grad und Zoll,

Wie tief ein Alter-Jungfern-Nacken

Zerknirscht sich aufs Gebetbuch senkt,

Wie muß das liebe Schaf es packen,

Wenn's an den Seelenbräut'gam denkt!

Sie fragen, wenn ein Kind sie taufen,

Ob man auch an den Teufel glaubte,

Und heizten gern noch Scheiterhaufen,

Wenn's nur die Polizei erlaubte.

Sie weigern euch der Ehren letzte,

Noch in die Gruft sie Unkraut streut,

Wie einen Fußtritt noch versetzte

Der Esel dem entschlafnen Leu'n.

Sie sprechen, während mit der Rute

Sie euch wie bangen Kindern drohn,

In maßlos frechem Übermute

Beschworenen Gesetzen Hohn.

Das ist die Demut, die sie stiften,

Das ist die Liebe, die sie heucheln,

Wenn sie des Volkes Herz vergiften,

Ihm Glück und Ruh und Frieden meucheln.

Bei meinem Kauz! ich könnte rasen,

Daß ihr vor den verdammten Phrasen

Des tollsten Aberglaubens schweigt,

Der euch umnebelt und umnachtet,

Und dieser Lügnerbrut nicht zeigt,

Wie grenzenlos ihr sie verachtet. –

Fragst du jetzt noch, woher mein Zorn

Beim Anblick jenes Wichtes stammt?

Es steckt im Fleisch mir wie ein Dorn,

Der mich mit Fieber wild durchflammt,

Ich hasse diese Bande tiefer

Als Pestilenz und Ungeziefer,

Und kommt mir einer in die Quer,

So fall' ich wütend drüber her

Und rufe: Knüppel aus dem Sack

Aufs Heuchlervolk, auf‘s Muckerpack!“

Für den großen Wahrheitserforscher

Herrn Professor Dr. Ernst Haeckel

zu Jena,

so gut es anging, mit bekannter Juristen-Kalligraphie, fein säuberlich abgeschrieben, damit er es Sonntag Nachmittags in der Kaffeestunde zuweilen als lindernden Balsam aufstreiche, wenn ihn die schwarzen Schmeißfliegen Loofs u. Paulsen u. Cons. allzuheftig zusetzen und ihm die kurze Ruhe rauben wollen, die ihm Abermillionen freidenkender Menschen aller Culturstaaten von ganzem Herzen gönnen – – – – – –

von einem glühenden Verehrer

Waldemar Klinghammer

leider nur Rechtsanwalt

in Rudolstadt.

R. im Juli 1903

[Beilage 2]

[Postkarte: Deutschlands 1te Bismarck-Feuersäule zu Rudolstadt, Zeichnung des Turms und des Turmzimmers mit zwei am Tisch sitzenden Männern, einer davon lesend, einer Pfeife rauchend]

Wer ist der Blonde - so geistesabwesend?

Das ist Klinghammer, die „Welträthsel“ lesend!

 

Letter metadata

Recipient
Dating
01.08.1903
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 11241
ID
11241