Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 11. November 1885

Heidelberg, 11. Nov | 85

Liebster Freund!

Mit bestem Danke für Deinen Brief verbinde ich mein wärmstes Bedauern über das Befinden Deiner lieben Frau, von dem ich nur hoffen will, daß die Verschlimmerung eine bald vorübergehende sein werde. Es kann Niemand mehr als ich die Empfindungen mit Dir theilen, welche jener Zustand in Dir erweckt, denn außer der Freundschaft die uns verknüpft, ist es die Gleichartigkeit der Lage, welche das vollste Verständniß bedingt. Meiner Frau geht es immer noch nicht besser. Sie kann selbst kleine Gänge nicht ausführen ohne daß die Schmerzen, welche sie mit seltenen Pausen, beständig fühlt, sich zum Unerträglichen steigern! Daß dabei ihre Stimmung leidet, und daß das Alles in mir reflectirt, ist begreiflich. Wie viel ich daher schon an Arbeitslust eingebüßt habe, kann ich nicht sagen. Was das Übel eigentlich sei, scheint Niemand zu wissen. Vorigen Sommer || consultirte ich Gerhardt, ohne Resultat. Das einzige, mich zeitweiß etwas Beruhigende ist, daß der allgemeine Zustand des Körpers nicht in Mitleidenschaft gezogen scheint. Ob ich recht habe, oder mich täusche, ich weiß es nicht. –

Von Fischer erfuhr ich neulich daß Bassermann das Seebecksche Büchlein in Verlag nehmen will. In den eventuellen Verlust wollen sie sich hälftig theilen. Von Cotta ist es miserabel, daß er sich nicht gleich zu einer Separat-Ausgabe verstand. Die Firma hat offenbar in München Rückschritte gemacht, was mich bei der Erbärmlichkeit vieler ihrer a Verlagsartikel – ich denke dabei an die Schriften meiner Münchener Collegen! – nicht Wunder nimmt. Auch die Beilage der Allg. Zeit. hat an innerem Gehalt abgenommen. Vergl. die Artikel von „Unserem Braun“!

Daß man in Jena mit der Behandlung des „Curators“ nicht einverstanden war, haben wir vorausgesehen. Aber wie sollte das anders, besser, gemacht werden. ||

Alles Detail war ja von vorne herein ausgeschlossen, und Seebeck zum Knüppel machen um damit andere zu schlagen ging doch gar nicht an. Ich muß sagen daß mir beim Lesen jener Artikel der herrliche Mann wieder völlig lebendig ward, und jeder der gezeichneten Züge völlig naturtreu erschien. Schreibe doch Fischer ein paar Zeilen, er bedarf dessen, wie Du ja weißt.

Das Wintersemester ist wenigstens für uns Mediziner ein ganz Gutes. Ich habe in meinem Präparirsaale keinen Platz mehr und muß Nebenräume benützen. Was diese Vermehrung der Mediziner in Deutschland für Folgen haben wird? Alle können sie doch nicht nach Kamerun gehen!

Herzliche Grüße von

Deinem

CG.

a von unten eingefügt: ihrer.

 

Letter metadata

Recipient
Dating
11.11.1885
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 10077
ID
10077