Konrad Deubler an Ernst Haeckel, Goisern, 5. Oktober 1880
Dorf Goisern den 5 Oktober 1880.
Verehrtester Herr Professor!
Ich habe leider diesen Herbst wieder vergebens auf Sie gehoft – Sie haben doch (ausser den Todt der Schwiegermutter) sonst kein Unglük gehabt? Sei dem, wie es nur immer gewesen sein mag – Ich gebe die Hofnung nicht auf, Sie nochmahls in unsern schönen Salzkamergut zu sehen und sprechen zu können! Denn wer einmahl Ihre klassischen Werke durchstudiert hat, und wer nur die Vorede zur Schöpfungsgeschichte gelesen hat, wie unbefriedigt legt man spätter die Schriften anderer Naturforscher aus den Händen! Bei allen diesen Philosophen und Denkern findet man nur die halbe Wahrheit, die ganze Wahrheit und Geistesfreiheit empfangt man nur durch die Feder Ernst Häkels. Wer sich so ganz in die Ideen eines Feuerbachs und Häkels hineingelebt und seine Lebens- und Weltanschauung sich zu || eigen gemacht hat, wie ich, weiß auch, welche Zufriedenheit und Seligkeit es gewährt, diesen Standpunkt erstiegen zu haben, auf welchem man so ganz in Harmonie steht mit der Natur und den ganzen Universum. Aber wie wenige von den tausend Millionen Bewohnern des Erdbals haben ein so grosses Glück wie ich, sich auf diesen Standpunkt zu erheben? Und diese zwei der größten und Muthigsten Denker unseres Jahrhunderts noch dazu Persöhnlich zu Freunden haben –!
Gegenwärtig hoffe ich wieder aufs künftige Jahr, weil ich gehört habe, das in Salzburg die Naturforscher Versammlung dort abgehalten werde solte.
Zeitungs-Nachrichten zu folge, waren Sie Hochverehrter Freund im September in Brüssel? Sie sollen dort den internationalen Freidenker-Kongreß beigewohnt haben, und eine Abhandlung über die Moralfrage vorgetragen haben?
Wenn ich Ihnen nicht ohnehin schon so vielles schuldig wäre – und Ihre für mich so kostbare Freundschaft nicht zu sehr in Anspruch nähme – so hätte ich Sie || Ersucht, mir diese Abhandlung lesen zu lassen. Seien Sie über meinen Rücksichtslossen Wunsch nicht bösse! Auch Dr.Dulk aus Stuttgart und Büchner soll beim Kongreß gewessen sein.
Schlüßlich hätte ich Sie noch gebetten, mir zu schreiben, wie es Ihrer lieben Frau mit ihrer Gesundheit steht?
Und was es mit Ihrem Collegen Gustav Jäger den Entdecker der Seele und Neuen Bekleidungs-Systems für eine Bewandnis hat? Was das Erstere betrifft, wird das ganze überhaubt noch nicht Spruch Reif sein, aber wegen der Normal Uniform? Über lezteres hätte ich Sie besonders um Ihre Ansicht Ersucht.
Ich und meine dike Nandl leben noch immer gesund und zufrieden auf unserm Einsamen Primesberg. In meinen neugebauten Schweizerhäuschen waren 3 Monathe lang Generall Wilhelm Heine der bekante Japan-Reisende, und der Schriftsteller Schlögl || aus Wien einquartierta. J.C.Fischer aus Wien und Karl Rengert aus Berlin, ein höchst liebenswürdiger Mensch, waren neben uns im alten Hause. Der Sommer war sehr schlecht – immer Regen und Schnee, mit obligatter Überschwemmung!
Ich muß mein schlechtes Geschreibsel enden, und Sie um Nachsicht bitten, ob meiner etwas zu Rücksichtslossen Wünsche.
Leben Sie wohl Edler, theuerer Freund, und denken Sie manches mahl an Ihren fernenn Freund
der Sie so sehr Verehrt und Hochachtet.
Grüssen Sie mir recht herzlich Ihre Frau!
Hochachtungsvoll Ihr dankbarer treuer Freund
Konrad Deubler.
a irrtüml.: Einquattiert