Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 8. Dezember 1868

Berlin d. 8ten

December 1868

Mein lieber Ernst!

Wie sehr mich die Todesnachricht von Schleicher erschreckt und betrübt hat, brauche ich Dir nicht erst zu sagen, die arme Frau und die Kinder!

Auch Du, mein geliebter Ernst, thust mir leid, daß Dir immer so viel Ernst des Lebens nahe tritt. Der Wunsch der Frau, daß Du Vormund der Kinder sein sollst, finde ich ganz natürlich, ebenso kann ich mir auch denken, wie Du ein gewisses Bangen hast, solch || ernste Pflichten zu übernehmen, und doch darfst Du Dich dessen nicht entziehen, und mußt getrost daran gehn: unser Thun ist ja hier auf Erden unvollkommen und stückwerk; und wir müssen uns ja immer dabei beruhigen, wenn wir mit gewissenhafter Treue das thun, was wir für das Beßte und rechte halten. Am Schwersten denke ich mir für Dich, wenn Deine Ansichten über || Erziehung der Kinder nicht mit den dem eingeschlagenen Weg darin mit den Eltern stimmt; doch ist die Frau vielleicht nicht so starr und schroff.

Vater werde ich nicht den Todt sagen; er ist ohnehin oft genug traurig gestimmt. Die vorige Nacht war nicht besser als die früheren, zwar in so weit besser, daß er doch mitunter ein halbes Stündchen schlief; er stand schon früh um 7 Uhr auf weil er es vor Beklämmung im Bett nicht aushielt, leider blieben die aber den ganzen Vormittag || so daß der arme Vater sehr litt, lieb war es mir dabei, daß nun Quincke es mal sah, der dann auch eine andere Medicin verschrieben hat; zu Mittag hat er mit Appetiet gegessen, nach Tisch geschlaffen und liest jetzt wieder die Zeitung, sieht auch wieder besser aus, und hat wieder Muth. Nun Gott helfe weiter, in so schweren Tagen fühlt man recht, wie wenig wir arme Menschen thun können, wie bei Allem Seegen und Gedeihen von Oben kommen muß. ||

Auf Dein baldiges Kommen freue ich mich sehr, auch Vater, der heute ausrechnete, wie viel Tage noch bis dahin seien. Wohl werden wir vieles uns mitzutheilen haben, die Nachrichten aus Bonn über Johannes Befinden sind sehr traurig, die arme Auguste; und die junge Frau mit dem kleinen Kindchen! –

Ach, wie traurig sieht es in der Naumannschen Familie aus! ||

Frau Schleicher sprich mit herzlichem Grusse meine Theilnahme aus. –

Agnes den innigsten Gruß, und Deinem Jungen gieb einen Kuß von

Deiner

Dich so innig liebenden

Mutter Lotte

 

Letter metadata

Recipient
Dating
08.12.1868
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 36380
ID
36380