Eduard Strasburger an Ernst Haeckel, Bonn, 13. Februar 1904
Bonn d 13 Febr 1904
Mein lieber alter Freund!
Im nächsten Jahr werden vier Decennien verflossen sein, seitdem ich zum ersten Mal zu Deinen Füssen sass und begeistert Deinen Worten lauschte. In lebhafter Erinnerung schwebt mir auch Dein Arbeitszimmer vor, in welchem ich, bald darauf, als erster Practikand, meinen ersten || Schritt auf zoologischem Gebiet wagte, mit der Beobachtung eines Stentors, dessen Bild ich heute noch, als mir theures Andenken, aufbewahre. Was ich an geistiger Anregung Dir danke, lässt sich nicht ermessen; Dein maassgebender Einfluss war es auch, der mir die Berufung nach Jena verschaffte und der somit über die Gestal-||tung meines ganzen Lebens entschied. Dessen gedenke ich in diesem Augenblick, wo ich, selbst schon sechzigjährig, in tiefer Rührung Dir meine Glückwünsche zu Deinem siebzigsten Geburtstag sende. Ganz so rosig wie vor vierzig Jahren blickt man in unserem Alter leider nicht mehr in die Welt, doch gerade Du wusstest Dir bis jetzt so viel Lebens-||freude und Jugendfrische zu bewahren, dass Dir die Aussicht auf noch manchen schönen Tag in der Zukunft blüht. Solcher Tage mögest Du noch die Fülle geniessen! Das ist mein innigster, herzlichster Wunsch. Möglicherweise suche ich Dich demnächst irgend wo an der Riviera auf und dann wollen wir uns gemeinsam an die schönen Tage der Jugend erinnern.
Inzwischen sende ich Dir die allerwärmsten Grüsse mit der Bitte Du mögest mich auch Deiner lieben Frau bestens empfehlen.
In alter Freundschaft
Dein
E. Strasburger