Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 28. Juli 1874

Heidelberg, 28. Juli 74.

Liebster Freund!

Dein, den Entschluß in Jena zu bleiben mir meldender Brief hat mich wenig überrascht da ich theils durch Dein Zögern in der Erklärung, theils durch positive Nachrichten auf jenen Ausgang vorbereitet war. Darüber ist also nichts weiter mehr zu sprechen, denn Du wirst Dir ja Alles wohl überlegt haben und jene Factoren alle wirksam gemacht haben die Dir maßgebend sein mußten. Hier erzählt man sich übrigens Du hättest Dich durch persönliches Eingreifen Carl Alexanders, der Dir einen Besuch gemacht habe, zum Bleiben bestimmen lassen, worauf ich erwidere: Signor glaubt nicht was sie klimpern etc. Wenn ich von Allem Äußeren absehe so ist mir mit Deinem Bleiben in Jena die Hoffnung, Dich öfter zu sehen fast verloren gegangen, denn ich hatte mir schon mit freundlichen Farben ausgemalt wie wir öfter irgendwo am Niederwald oder sonst am Rhein uns ein Rendezvous geben, und so für die übrige Zeit der || räumlichen Trennung einen Ersatz finden könnten. Je mehr ich also diesen Verlust einer Hoffnung beklagen muß, um so mehr freue ich mich Dich diesen Herbst noch zu sehen. Zu Ende August das bewußte Ereigniß erwartend, werde ich mich diese Ferien nicht auf längere Zeit von hier entfernen, und nur auf kleineren Ausflügen von der Semesterlast Erholung suchen. Examina und Sitzungen aller Art lassen mich das Semesterende auch sehr herbeisehnen, und zu Ende der nächsten Woche will ich dieß Ende thatsächlich eintreten lassen. Was sagst Du zu Deines anatomischen Collegen biographischem Talent? Es ist doch wahrhaft schmerzlich wie in nichtssagenden Phrasen die wirkliche Bedeutung Schultzes gänzlich begraben ward. Was kann sich irgendein der Anatomie fern stehender Mann über Schultzes Leistungen denken. „Das Jahr 68 brachte uns die wichtige Entdeckung der Stachel- und Riffzellen“ Welcher Dreck wird da auf eine Seite gesetzt. Nein, es ist wirklich ganz unglaublich, daß das die viel besprochene, durch Posaunenstöße verkündete Biographie S. sein soll. || Der Mann hat wohl noch niemals eine Biographie gelesen, und kennt eigentlich von S. so wenig wie die Katze vom Mond. R. Hertwig hat in der kurzen Notiz über S. denselben viel besser zu würdigen verstanden, und hat ihm ein ehrenderes Denkmal gesetzt.

Gestern wurde ich durch Herrn Sempers vorläufige Abkanzelung meiner werthen Person erfreut. Es ist doch kostbarer Unsinn! Die Beobachtung a bezüglich der Selachier ist aber richtig; Ich kenne diesen Befund seit ½ Jahre. Dagegen ist die Beurtheilung recht schwierig, und Herr Semper wird darin ebensowenig ins Reine kommen wie über das Genauere der Anatomie dieser eigenthümlichen Gebilde, die er in seiner gewohnten flüchtigen Weise zu behandeln scheint. Also nur Munter drauf los. Beiläufig bemerke ich noch daß Selachier-Embryonen noch eine sehr frühzeitig auftretende aber wieder verschwindende Pro-Chorda besitzen einen mit Cuticula überkleideten glieder Strang aus Zellen, unmittelbar unter der Chorda verlaufend. Die Chordafrage wird damit etwas complicirt.

Wie Du weißt war neulich Seebeck hier. Es war mir lieb den alten Mann noch einmal gesehen zu haben. Vielleicht || hat er empfunden wie sehr er mir Unrecht gethan. So will ich seinen Besuch deuten, der mir manches Bittere der Erinnerung an Jena benahm.

Gegenwärtig ist der jüngere Rosenberg hier, der Prosector in Dorpat ist. Mit dem Verstande und der Urtheilskraft seines Bruders verbindet er ein gewandtes Wesen. Wollte man doch solchen Leuten fördernd beistehen, es stünde besser um die Wissenschaft. Der Verkehr mit ihm ist mir eine wahre Erquickung, so daß ich das Opfer ihm in meinen so beschränkten Räumen einen Platz abzulassen gerne gebracht habe.

Meiner Familie geht es im Ganzen gut, nachdem die enorme Hitze (20 – 28 – 21, Frühe, Mittags und Abends) meine Frau und auch die Kleine sehr angegriffen hatte, und die letztere sogar mehrere Wochen recht leidend war. Hoffentlich entschädigt ein guter Herbst! Mit besten Grüßen von Haus zu Haus stets Dein treuer

C.G.

a Gestr.: ist

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.07.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9983
ID
9983