Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 15. März 1867

Jena, 15 März | 1867.

Liebster Freund!

So wäre denn die Zeit bald wieder da, wo wir uns nach langer Trennung wieder umarmen werden, Erlebtes und Empfundenes im gegenseitigen Austausche mittheilend, und im Rückblick auf Vergangenes auch der Zukunft gemeinsam gedenkend. Ich begleite Dich bereits in Gedanken auf Deiner Rückreise, von der Dein letzter Brief mir Nachricht gab. Da Du in früheren Briefen von einem vierteljährigen Aufenthalte auf Lancarote sprachst, glaubte ich nicht so bald schon Deinen Aufbruch nach Europa annehmen zu dürfen. Meinen letzten Brief, der etwa am 22 Febr. von hier abgegangen, wirst Du also wohl nicht mehr erhalten haben. Auch für diesen habe ich einiges Bedenken, ob er in Deine Hände kommt. Das soll mich aber nicht abhalten ihn zu schreiben, zumal ich ihm nichts wichtiges anzuvertrauen habe, das Du nicht bereits wüßtest. Wie sehr ich mich freue auf Deine glückliche Wiederkehr ist von Allem zu schreibenden das Bedeutendste. Für mich läuft heute ein sehr elendes Semester ab, von dem ich keine zweite Auflage zu erleben könnte. Zum Glück haben sich meine Gesundheitsverhältniße die allen Stimmungen immer trüben Hintergrund verliehen hatten, ganz befriedigend gestaltet, und ich athme wieder freiauf, mich wohler denn je fühlend. Ich gedenke noch den Rest des Monats hier zu bleiben, vielleicht auch noch Anfang des folgenden, um dann nachdem ich mein theures Kind wieder gesehen irgendwo Erholung zu suchen. Da das Sommersemester sehr spät beginnen wird (schwerlich vor Anfang Mai; das landwirth. Inst. hat erst auf den 6. Mai angekündigt; – dieses späten Beginns wegen haben die meisten Bildermänner bereits eben in voriger Woche geschlossen!) hoffe ich noch etwas von guter Witterung abzukriegen, und zu einer kleinen Reise zu benützen. Erholung wird für mich auf längere Zeit das Losungswort sein. Wenn Du über Paris gehst ist es möglich daß Du mit M. Schultze zusammentriffst, welcher || nach einer Mittheilung seines Bruders dorthin zu gehen beabsichtigt. Sich in der babylonischen Verwirrung anders als durch großen Zufall zu finden scheint mir nicht gut denkbar. Solltest Du nach Madrid kommen so suche doch den Professor der Mineralogie Don Juan de Villanueva auf, mit dem ich seinerzeit den Aetna bestieg. Er kennt Deutschland, und erschien mir damals als ein ganz liebenswürdiger Reisegefährte. Sag‘ ihm ich dächte noch der Locanda del cane in Paterno. Hier wirst Du äußerlich nicht viel verändert finden. Der Palazzo Mende ist noch ebenso wie ich ihn zum Herbst das erstemal erblickte, und beherbergt das „Graun“ nicht blos in den öden Fensterhöhlen sondern auch auf allen Oberflächen seines unschönen kastenförmigen Leibes. Dagegen wird Hartungsa nicht minder unförmiges Haus zum Nächsten Monat von Endemann, wenigstens in einer Etage bezogen, und damit mir dieses Haus noch mehr als die Wintersonne entziehe, hat unser Freund Angel die untere Etage resp. Parterre gemiethet. Statt der lieben Bäume werde ich also das widerwärtige Giftgesicht öfter zu erschauen Gelegenheit haben. An Endemann’s Stelle erhältst Du Frau Hirzel zur Hausgenossin. Du wirst wunder denken wie sehr ich mich um den Jenenser Klatsch intereßire; doch rechne ich das mitgetheilte nicht unter diese Kategorie, da die Hausgenossenschaft entschieden zu den Instanzen zählt die einem bequeme oder unbehagliche Situation bereiten können. Da ich von Situationen spreche muß eines Besuchs von Dohrn Erwähnung thun, der mir kürzlich zutheil ward, und der mich an eine vor 10 Jahren mit Semper gehabte Entrevue erinnert. Dohrn der sich den ganzen Winter hier aufgehalten zu haben scheint, frug mich in welchen Verhältnißen ich zu ihm stände, er beabsichtige sich zu habilitiren, und habe von Dir gehört daß ich auchb gegen ihn sei. Diese ganze Fragestellung geschah übrigens in der anständigsten Form und dadurch unterscheidet sich das Verhältniß allerdings von dem zu Herrn Semper. Ich erklärte Dohrn daß ich persönlich gegen ihn nichts habe, || daß ich aber bezweifelt hätte ob er zum academischen Beruf wie überhaupt zu ernstlichen Arbeiten die erforderlichen Eigenschaften besäße. Dieser Zweifel sei durch seine Preisaufgabenarbeit sehr berechtigt, und so lange ich keinen anderen Maßstab besäße ihn zu beurtheilen, müßte ich daran festhalten. Dohrn gab all‘ das bereitwillig zu, und erklärte daß er zu arbeiten gelernt habe, wie er mir denn auch eine Arbeit über Entw. der Wasserassel überbrachte die ganz gut ist. Er wird für nächsten Sommer nach England gehen, und beabsichtigt sich später noch zu habilitiren. Er scheint übrigens zu glauben, und das ist mir gar nicht recht, daß ich die Ursache, oder doch der Anlaß gewesen sei, weßhalb Du Dein Urtheil über ihn geändert habest. Du wirst Dich erinnern daß ich über Dohrn keine Sylbe eines ungünstigen Urtheils geäußert habe, als bis Dir selbst Zweifel an dem Ernst des Strebens Dohrns gekommen waren. Erst da theilte ich Dir auch meine Bedenken, meine Beobachtungen mit, die vielleicht Deine bestärkt haben mögen, aber sie auf keinen Fall hervorriefen. Doch genug davon. Litterar. Neuigkeiten hat die jüngste Zeit wenig was Dich interessiren könnte gebracht. Bemerkenswerth ist ein Werk von Bischoff das ich übrigens nur aus einem Referate in der Allgem. Zeitung kenne. Es handelt von den Schädeln der Anthropoiden Affen und ist mit 22 Fol. Taf. ausgestattet! Er gibt nur ganz wenig zu und bricht eine Lanze gegen die Descendenztheorie! Man kann nicht alles wissen, die Anfänge der Dinge sind uns verborgen, daher gebraucht man ganz richtig den Ausdruck Schöpfung für die Entstehung der Dinge. An eine Umwandlung von Affen in Menschen ist nicht zu denken, überhaupt gibt die vergl. Anatomie gar keine Begründung für eine solche Annahme, sie begründet vielmehr nur die Möglichkeit. Das ist etwa nach jenem Berichte, der voller Anerkennung ist, die Argumentation Bischoffs des Embryologen, oder besser „Embryographen“! Daß die Monachier die Bilder die nun wohl schon zum 10ten male erschienen, bezahlt haben, versteht sich und daß sie sich über || diese durchaus befriedigenden Ergebniße des großen „Forschers“ sehr beruhigt fühlen, versteht sich ebensoc, also: lege man sich auf’s andere Ohr und schlummere ruhig weiter. Giebel hat gesprochen, der Zoologe, Bischoff hat gesprochen, der Embryologe, was brauchts da noch mehr, die Sache ist verurtheilt. Ich bedaure nur die Verschwendung kostbarer Tafeln für das unnütze Zeug! So weit ists mit den Academien gekommen. Doch in München hat die Sache ja d nur die Bedeutung „ut aliquid fecisse videamur!“ Also recke die große Streusandbüchse und streu dem großen Publicum einen tüchtigen Schub in die Augen. So wirds ja momentan selbst verlangt. In München wird der Sand pro loco von den Wachsmodelleuren besorgt, den Sand für Auswärts bieten Opera wie das citirte! Das sind dann zugleich die Vertreter der Intelligenz in der alten Pfaffenstadt! Ein biederer Bajuvarier aus Dachau oder Tittmoning hätte wohl auch nicht weniger geleistet, wenn’s auch weniger gekostet hätte. Damit nehme ich von dem famosen Werke e Abschied, und hoffe in keine weitere Berührung mit ihm zu kommen.

Miklucho sende ich im beifolgenden einige Zeilen. Er bat mich, ihm nach Arecife zu schreiben, ich befürchtete aber das ihn ein Brief nicht mehr erreichen würde. Sollte M. nicht bei Dir sein, so weisst Du doch, wo er zu treffen, und bist wohl so gefällig den Brief mit der bezügl. Adresse zu versehen.

Sehr begierig bin ich von Eurer Ausbeute näheres zu vernehmen. Jedenfalls bringst Du Dir reiches Arbeitsmaterial mit, und wirst die Vortheile der bequemeren Untersuchung genießen. Nach den geschilderten Zuständen jener glücklichen Insel wird es Dir nicht schwer werden unserer Civilisation Dich wieder zu befreunden. Uebrigens bewundere ich Eure Ausdauer, und gestehe gern daß ich wohl keine 8 Tage dort ausgehalten haben würde! Mein alter Grundsatz: Man muß etc. hätte sich auch hier trefflich erprobt!

Mein liebster Freund, laß bald wieder Gutes von Dir hören, und schreibe mir wann Du etwa in Berlin einzutreffen gedechtest. Oder gehst Du zuvor hieher? Ich möchte das wissen weil ich die an Dich angelangte Correspondenz Dir sogleich zukommen lassen möchte, und vor meiner Abreise von hier darüber verfügen muß. Sollte ich nichts erfahren so sende ich das Bezügliche nach Berlin. Da nun Bertha noch f hier eintreffen wird, so werde ich ihr wohl die Schlüssel zu den Zimmern übergeben. Die übrigen Schlüssel bleiben in der Kapsel wozu Du den Schlüssel versiegelt vorfinden wirst.

Mit herzlichem Gruß und Kuß Dein treuer

CG.

a Von oben eingefügt: Hartungs; b von oben eingefügt: auch; c von oben eingefügt: ebenso; d gestr.: doch; e W korrigiert aus O, f folgt gestr. treffen.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.03.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9949
ID
9949